Geschichtswerkstatt

Grötzingen

Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Arbeitskreis des Heimatfreunde Grötzingen


Projekt

Handwerk, Handel und Gewerbe in Grötzingen in den 50er und 60er Jahren


medizinische Versorgung
Zeitzeugenberichte


Praxis Dr. med. Paul Saur

Pfinzstraße 17

Interview von Klaus Horn mit Fau Loni Hufer [Tochter] am 24.01.2019
überarbeitet am 04.02.2019 von Frau Hufer

Dr. Saur hatte seine Praxis in Grötzingen von 1924 bis 1974. Zunächst in der Kaiserstraße. 1927 kaufte er das Haus in der Pfinzstraße 17 (Haus erbaut um 1903), das er 1937 wegen der Familie (4 Kinder) vergrößerte. Die Praxis war dann im Hinterhaus untergebracht mit dem Zugang vom Gässle aus.
Von 1960 bis 1966 praktizierte auch sein Sohn Walter (Wohung in der Pfinzstraße 11) mit ihm in der Pfinzstraße 17.

Die Patienten kamen auch aus Berghausen, zu denen er ein gutes Verhältnis hatte. Erst nach 1945 gab es in Berghausen einen Arzt (Dr. Schober). Um die Patienten bei Hausbesuchen zu erreichen, besaß er schon vor dem Krieg ein Auto. Nach 1945 - das Auto war konfisziert worden - begann er mit einem Fahrrad, dann mit einem Leichtkraftrad (NSU Quick), einem Opel Kadett und 1952 einem VW, um seine Patienten zu besuchen

Während des Krieges war er Oberfeldarzt in verschiedenen Lazaretten, zuletzt in Tschechien. Sofort nach Kriegsende und nach kurzer Gefangenschaft war er wieder in Grötzingen aktiv (ab 1.10.1945).

Als praktischer Arzt war er für alles zuständig, auch zusammen mit der Hebamme Frau Reeb für die Geburten. Da in Grötzingen kein Facharzt praktizierte, wurden die Patienten nach Durlach überwiesen: Kinderarzt (Dr. Bossert), HNO (Dr. Schlemmer und Dr. Adler), Haut (Dr. Schotola), Augen (Dr. Elschnig, Dr. Suter, Dr. Röhrig), Internist (Dr. Bühler), Röntgen (Dr. Engels), Frauen (Dr. Vollmer, Dr. Schnitzler). Die Krankenhäuser lagen alle in Karlsruhe (Städtisches, altes und neues Vincentius, Diakonissen in Rüppur).

Die Apotheke von Herrn Wilhelm Kaiser in der Kaiserstraße 20a (als Ableger der Apotheke in Berghausen) gab es erst nach 1960. Er arbeitete gerne mit der Einhorn-Apotheke in Durlach zusammen. Die Patienten konnten die gewünschten Rezepte in Berghausen auch an der Tankstelle G. Volk bestellen.

Er hatte nur kurzzeitig eine Sprechstundenhilfe. Auch die schriftlichen Abrechnungen wurden von ihm selbst gemacht, so auch die Liquidation für Privatpatienten (zum Beispiel: 3 DM für eine Beratung, 6 DM für einen Hausbesuch).

Die Sprechstunden waren sehr lang, nicht nur an den angebenen Zeiten. Am Montag und Donnerstag gab es auch eine Abendsprechstunde ab 19 Uhr, die manchmal bis 22:30 Uhr dauerte; als letzte kam dann oft Frau Mertens aus der Nachbarschaft, um möglichst schnell behandelt zu werden. Für Notfälle gab es am Eingang des Hauses eine Nachtglocke. Wurde diese von einem Patienten geschellt, so trat er aus seinem Schlafzimmer auf den Balkon und konnte sofort den Grund erfragen. Er war aber unwillig, wenn sich herausstellte, dass der Notfall gar keiner war. Einige Patienten kamen aus der unmittelbaren Nachbarschaft: Ringer mit ausgekugeltem Arm von der ASV-Halle nebenan oder Kinder, die sich beim Baden in der Pfinz in Glasscherben verletzt hatten. Eine angeschwemmte Wasserleiche war da unangenehmer; die musste in der Garage aufgehoben werden.

Dr. Paul Saur war mit Leib und Seele Arzt, der ohne seine Patienten nicht leben konnte. Er war eine prägende Persönlichkeit in der Dorfgemeinschaft Grötzingens.


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zuletzt bearbeitet am 07.02.2019
von Klaus Horn, EMail = k-r-horn BEI t-online.de