Geschichtswerkstatt

Grötzingen

Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Arbeitskreis des Heimatfreunde Grötzingen


Vertriebene - Flüchtlinge

Zeitzeugenberichte

VERTRIEBEN VON BUDAÖRS NACH GRÖTZINGEN

Zeitzeugin: Eva Geiselhardt, geborene Pfund, geb.am 17.3.31 in Budaörs, Ungarn

Interviewt: von Harald Schwer, am 31. Januar 2019


Vorgeschichte

Es war der 29. Dezember 1945 als im Staatsanzeiger “Magyar Közlöny“ amtlich bekannt gemacht wurde, was auf Grund des Beschlusses der Regierung und der Alliierten Kontrollkommission für Ungarn (AKKU) über die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland verfügt wird. Darin heißt es unter anderem: „Zur Umsiedlung sind jene ungarischen Staatsbürger verpflichtet, die sich anlässlich der letzten Volkszählung zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannt haben, oder die ihren magyarisierten Namen wieder in einen deutsch klingenden umändern ließen“. Die Anordnung beruft sich auf die Konferenz von Potsdam (17.07. bis 02.8.1945).
In der Volkszählung von 1941 hatten 477.057 Personen „deutsch“ als ihre Volks- oder Sprachzugehörigkeit angegeben.

Ja Eva, wir kennen uns seit 1946, als ihr bei Heilbronners in der Wilhelmstraße Nr.3 eine Unterkunft und meine Großeltern, nach dem sie ausgebombt waren, eine Wohnung zwei Häuser nebenan in Haus Nr. 7 bekamen. Bei der Oma in der Wilhelmstraße war mein zweites Zuhause und hier haben wir uns auch immer wieder mal gesehen. Erzähl doch mal, wie war das damals als ihr vertrieben wurdet?

Also, mein Vater, meine Mutter (beide 1905 geboren) mein Bruder (1935 geb.) und ich wohnten in Budaörs, ca. 8 km von Budapest entfernt, in einer Zwei-zimmerwohnung zur Miete. Wir lebten damals in sehr einfachen Verhältnissen. Mein Vater war von Beruf Maurer, meine Mutter war Steinschleiferin, die Armut war groß, die Verdienste nicht. An Ortsvereine oder so etwas wie Kultur und Brauchtumspflege-Organisationen kann ich mich nicht erinnern, ich glaube das gab es damals bei uns im Ort nicht. Jeder hatte genug damit zu tun seinen kargen Lebensunterhalt zu bestreiten und keine Zeit und Lust sonst noch irgendwo hin zu gehen, aber wie schon erwähnt, gab es auch kein Angebot dergleichen.

Ich kam im September 1945 aus der Schule, mein Bruder Seppel war im vierten Schuljahr.

Im Dezember 1945 passierte meinem Vater bei Waldarbeiten ein schwerer Unfall wobei er sich erheblich verletzte. Durch das Einstürzen eines hohen Holzstapels wurde er so schlimm getroffen, dass er sich einige Glieder brach und lange das Bett hüten musste.
Fast genau zur selben Zeit als dieser Unfall passierte, kurz vor dem Jahresende 1945, erfuhren wir durch Mundpropaganda und dem „Amtlichen Staatsanzeiger“ von der Vertreibung der Ungardeutschen aus Budaörs. Es hat geheißen alle müssen raus aus Ungarn, die Wohnungen werden für die Ungarn gebraucht welche aus anderen Ländern vertrieben werden und zurück nach Ungarn kommen. Im Januar 1946 soll die Umsiedlung nach Deutschland beginnen. Es war ein banges Gefühl, das sich keiner vorstellen kann der es nicht selber miterlebt hat, zu wissen, dass man alles was einem lieb und recht war, nicht mehr wiedersehen wird. Auf den Unfall meines Vaters hin wurde Rücksicht genommen so, dass wir nicht bei den ersten Transporten dabei waren und er noch Zeit für die Genesung bekam, doch das sollte alles nicht so schnell gehen.

Budaörs hatte damals 9.814 Einwohner, davon 8.448 Deutsche die innerhalb sechs Wochen in sieben Transporten aus Ungarn mußten. Es war am 19. Januar 1946 als hunderte von Polizisten Budaörs (deutscher Ortsname „Wudersch“) umstellten. Die „Schwaben“ („svábok“), wie man die Ungarndeutschen nannte, wurden aus ihren Betten geholt. Nur das allernötigste, nicht mehr als 50 kg, durften sie mitnehmen als sie zum Bahnhof getrieben und in bereitstehende Viehwaggons zum Abtransport verladen wurden. Man sagte ihnen, ihr seid mit einem Bündel nach Ungarn gekommen und so geht ihr auch wieder. So geht es Schlag auf Schlag bis wir mit dem Transport am 7. Februar an der Reihe waren und das Land verlassen mussten. Da hieß es: in drei Stunden haben alle auf der Straße zu stehen. Dann ging es zum Güterbahnhof, dort bekam jeder eine Nummer für den Waggon (Viehwagen), für den er eingeteilt war. In manchen Waggon musste zuerst einmal der Mist rausgefegt werden. Dann wurden immer so ca. 40 Personen in einen Waggon eingepfercht. Danach setzte sich der Zug in Bewegung, wohin es ging wussten wir nicht. Der Zug hielt immer wieder an verschiedenen Bahnhöfen an und wir wurden von irgendwelchen Hilfsorganisationen, gut mit Essen und Trinken versorgt. Auch in Deutschland hielt der Transportzug nochmals an verschiedenen Bahnhöfen.

Die Aufenthalte an den Bahnhöfen waren unterschiedlich lang und so dauerte es bis zum 14. Februar als der Zug mit 878 Personen in Karlsruhe eintraf. Unsere erste Unterkunft, mit vielen Leidensgenossen aus der gleichen Gegend, war eine Kaserne in der Nähe des Städtischen Klinikums. Hier waren wir acht Tage und nachdem feststand, wer in welchen Ort kommt, wurden wir mit noch sechs Familien nach Grötzingen gefahren. Die weiteren Familien wurden gleichmäßig in die umliegenden Ortschaften von Karlsruhe verteilt. Sprachlich hatten wir nur wenige Probleme, gut es gab kleine Unterschiede, zum Beispiel sagte man in Grötzingen „nuff“ und „nunner“ wir sagten eben mal „aufi“ und „obi“ und so weiter.

Zuerst waren wir für ein paar Tage in der „Bahnfrei Halle“ (später Alteisen Danker) in den Weihergärten untergebracht und danach kamen wir zum Bauer Karl Heilbronner in der Wilhelmstraße. Hier hatten wir ein großes und ein kleines Zimmer und eine Küche, das Klohäuschen war im Hof beim Misthaufen.

Auf dem Rathaus konnten wir uns ein einmaliges Begrüßungsgeld, für die ganze Familie, von 20 RM abholen. Sonst bekamen wir keinerlei Hilfen, wir hatten in Ungarn nichts, wohnten in Miete und konnten somit auch keine Ansprüche stellen. Auch von der Kirche oder karitativen oder seelsorgerischen Funktionen bekamen wir keinerlei Unterstützung.

Wir lebten damals, wie auch viele Einheimische von der Hand in den Mund und mussten regelrecht betteln gehen. Manches Mal bekam man hier ein, zwei Kartoffeln oder ein, zwei Eier, das gab schon wieder eine kleine Mahlzeit. Unser Vater musste seine schweren Verletzungen von dem Unfall in Ungarn nochmals für ein Jahr lang im Krankenhaus behandeln lassen somit hatten wir einen Esser weniger zu versorgen.

Meine Mutter hat bei der Firma Erich Herrmann Arbeit bekommen, mein Vater nach seiner Genesung beim Baugeschäft Burst als Maurer, mein Bruder ging noch zur Schule, ich habe den kleinen Eugen von der Familie Heilbronner gehütet und war dann später in der „Schlüchterner Seifenfabrik“ (anschl. Garantol) beschäftigt.

Im Jahre 1953 habe ich meinen Jugendfreund geheiratet, er war aus dem selben Ort in Ungarn und auch so alt wie ich. Wir zogen in eine Wohnung im Schloss (oberer Eingang wo Wächters wohnten), bekamen zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, welche zwischenzeitlich mit Einheimischen verheiratet sind und auch wieder Kinder haben. Mein Mann ist 1992 verstorben.

Am 1. März 1965 zogen wir in eine Neubauwohnung der Baugenossenschaft in der Siedlung in welcher ich heute noch wohne. 1953 sind dann auch meine Eltern mit meinem Bruder in eine Wohnung in die Bruchsaler Landstraße gezogen, aber alle drei sind zwischenzeitlich auch verstorben.

Unsere frühere Heimat haben wir noch zweimal besucht, einmal 1989 und das zweite Mal 2003 und aus Ungarn kam ab und zu mal mein Schwager zu Besuch. Grötzingen wurde unsere Heimat und ist immer noch meine Heimat!

-Menschen sind schon immer auf der Flucht oder wurden vertrieben. das war früher so und ist heute nicht anders.-


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zuletzt bearbeitet am 11.03.2019
von Klaus Horn, EMail = k-r-horn BEI t-online.de