Offenes Denkmal 2007
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Die Dreihundertjährigen – Durlacher Hausgeschichten
Zunftstraße 20, Durlach
Karl Weysser: Durlach (Zunftstraße 20), Zeichnung 1872
Über kaum ein anderes Bürgerhaus in Durlach ist so viel von
Seiten der Baugeschichte geforscht und geschrieben worden, trotzdem steckt es
noch voller Rätsel und Widersprüche. Und, was besonders verwundert, es ist
wenig bekannt. Daran mag vor allem schuld sein, dass es dem Vorübergehenden
nicht mehr herzeigt als eine schmucklose verputzte Giebelwand, daneben einen
in Beton imitierten Torbogen als Hofeinfahrt. Man muss schon in den Hof hineingehen,
um sich von dem über beide Stockwerke reichenden üppigen Sichtfachwerk überraschen
zu lassen. Noch besser: man stellt sich ganz hinten in den Hof vor die
ehemalige Scheune und sieht nun, dass auch die rückseitige Giebelwand völlig
in Fachwerk aufgeführt ist, und man bemerkt das leichte Überkragen des Obergeschosses.
Genau an dieser Stelle stand 1872 der Durlacher Maler Karl Weysser und
zeichnete liebevoll eine detailgenaue Studie – wie immer mit dem Blick für
die malerische Perspektive. Neugierige mögen noch um die Ecke in den
"Winkel“ neben Nr. 22 spähen und feststellen, dass sich hier über einer
einstöckigen Steinwand nur einfaches Gebrauchsfachwerk befindet. Weyssers
Zeichnung ebenso wie ein Foto von etwa 1920 zeigen gegenüber dem Haupthaus ein
schmales Wohngebäude, ein "Altenteil", hinter dem sich ein Schuppen
versteckt. Die Durchfahrt war also extrem eng.
Betritt man das Haupthaus in der Mitte der Traufseite, so trifft man im Ern
(Flur) sofort auf "das Paradestück des Hauses, die eichene Wendeltreppe"
(Bachmann), deren Hohlspindel aus einem bis zum Dachstuhl durchgehenden
Stamm gearbeitet ist. Dieser trägt nicht nur die Stufen, er ist außen zu einem
eleganten Handlauf gestaltet und innen so ausgehöhlt, dass ein "Treppenauge"
entsteht.
Fasst man das alles zusammen, so entsteht das Bild einer "altmodischen", typischen fränkischen Hofanlage mit giebelständigem Haupthaus neben der von Altenteil und Schuppen flankierten Durchfahrt, die zum Hof, zum Stall und der querstehenden Scheune führt. Eigenartig ist, dass das eher bescheidene Haus durch sein Fachwerk und die kostbare Treppe so hervorsticht.
Zur verputzten Giebelwand ist noch eine Bemerkung nachzutragen. Die Literatur
ging bisher davon aus, dass es sich um eine Steinwand aus der Erbauungszeit
handle, wie sie die Modellbauvorschrift forderte. Die Baubeschreibungen
von 1758 und 1782 stimmen aber darin überein, dass an dem Fachwerkbau einzig
"die hintere Seite unten" aus Stein sei. Dazu passt die Beobachtung
des heutigen Besitzers, er habe unter dem Putz nur Backsteine gefunden. Das
würde bedeuten, dass eine ursprüngliche Fachwerkwand schadhaft geworden und
in – grob gesagt – neuerer Zeit großflächig ersetzt worden ist.
Auf einige wichtige Fragen wurde in den baugeschichtlichen Abhandlungen
verständlicherweise nicht eingegangen. Lässt sich die Erbauungszeit
präzisieren? Wer war der Erbauer des eigenwilligen Hauses? Welchen Rang
nahm es aufgrund seiner Besitzer und Bewohner ein? Hier konnte inzwischen etwas
Klarheit geschaffen werden.
Im Jahre 1698, also neun Jahre nach dem Brand, stand das Haus schon; das Grundstück
reichte bis zum Gässchen "An der Stadtmauer". Eigentümer und sicher
auch Erbauer war Georg Sebastian Steinmetz. Er war ein Mann von herausragender
Bedeutung: Im Katastrophenjahr 1689 war er Bürgermeister und wurde im Lauf
der nächsten 20 Jahre noch mehrmals in dieses Amt gewählt. Das erklärt, dass
das Haus als eines der ersten erbaut werden konnte, ohne dass Modellhausvorschriften
zu beachten waren. Steinmetz besaß auch genügend Kapital, um 1698 das benachbarte
Ruinengrundstück (Nr. 18) erwerben zu können und bis 1706 dort ein modellmäßiges
Haus mit großem Gewölbekeller zu erbauen, das er bald darauf wieder
verkaufte. Er starb 1723.
Das Anwesen war das ganze 18. Jahrhundert hindurch der Stammsitz der angesehenen
Familie Steinmetz. Dem "Altbürgermeister" folgte der Rotgerber
Georg Sebastian Steinmetz junior nach. In den 1760er Jahren gelang es dem
Ratsherrn und Rotgerber Philipp Bernhard Steinmetz nochmals, das Nachbaranwesen
dazuzuerwerben. Wie sinnvoll das war, zeigt ein Blick auf den Plan von 1764,
auf dem eine gemeinsame Konzeption für das doppelte Areal deutlich wird. Dass
P. B. Steinmetz auch größere Baumaßnahmen auf seinem Hof durchführte,
dokumentierte er mit der Inschrift "PBST 1767" auf dem Schlussstein
des Einfahrtsbogens. (Der Stein wird noch in den "Kunstdenkmälern"
von 1937 erwähnt; inzwischen ist er "verlorengegangen".) Auch ein
Bernhard Steinmetz besaß 1782 noch beide Grundstücke. Nr.18 wurde bald darauf
von seinen Erben verkauft an den Schuhmacher Dumberth. Das Stammhaus übernahm
1792 der Rotgerber Steinmetz. Mit ihm endet die Ära Steinmetz in der
Zunftstraße 20.
Literatur:
Martin Bachmann, Der barocke Wiederaufbau, Karlsruhe 2002
Text: Dr. Peter Güß, Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer
Verein Durlach e. V.