Offenes Denkmal 2007
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Die Dreihundertjährigen – Durlacher Hausgeschichten
An der Stadtmauer 13, Durlach
300 Jahre alt ist dies Haus natürlich nicht; eher könnte man das von der
Stadtmauer sagen, deren Wiederherstellung freilich 1707, 18 Jahre nach der
Zerstörung Durlachs, auch schon einige Jahre abgeschlossen war. Denn die
massive Stadtbefestigung hatte von dem eiligen Brandkommando der
Franzosen nur geringfügig beschädigt werden können, und angesichts der unaufhörlichen
Kriegsereignisse der nächsten Jahre wurde die Wiederherstellung der
Mauern mit Vorrang betrieben. 1704, so lesen wir bei Fecht, wurden Wachen auf
die Mauern gestellt – also war auch der Wehrgang wieder in Funktion.
Die Stadtbefestigung enthält in dem Abschnitt "An der Stadtmauer"
einige Besonderheiten. Dazu gehört die Gasse selbst, die unmittelbar an
der Stadtmauer entlang verläuft und ursprünglich nur auf der Stadtseite Wohnbebauung
hatte, während überall sonst in Durlach auch schon vor dem Brand die Privatgrundstücke
bis unmittelbar an die Stadtmauer reichten. Es war eine wenig ansehnliche,
wohl auch etwas düstere Gasse, die deshalb "Mauerloch" genannt wurde.
Die Abweichung mag daher rühren, dass es sich um den jüngsten Mauerabschnitt
handelte, der um die Stadterweiterung des 15. Jahrhunderts herumgeführt
wurde und bei dem man die freie Zugänglichkeit der Mauer nachholte, die in
der historischen Kernstadt versäumt worden war.
Auffallend sind die steinernen Bogen, die früher den Wehrgang trugen. In
Durlach sonst ungebräuchlich, kennt man sie aus anderen Städten. Unter den
Bogen verringert sich die Mauerdicke, die sonst in Durlach ca. 145 cm beträgt,
um 1 m. Die Gründe für diese Neuerung im späten Mittelalter sind umstritten.
Offensichtlich ist die Ersparnis an Material und Bauzeit. Aber warum nahm man
die Schwächung des Verteidigungswerks in Kauf? Vielleicht weil die draußen
parallel verlaufende Pfinz einen Angriff von dieser Seite unwahrscheinlich machte.
Oder weil man wußte, dass auch die kompakten Mauern einem ernsthaften Artilleriebeschuss
nicht mehr gewachsen waren. Denkbar sind auch ästhetische Gründe, eine Mode;
die Gotik verzichtete auch in der sonstigen Architektur auf wuchtige Mauerdicke
zugunsten von Bogenkonstruktionen.
Durlach pflegte im 18. Jahrhundert vorläufig noch seine überkommenen Verteidigungsanlagen:
die 145 cm dicke, ca. 6 m hohe Stadtmauer, dahinter den 3,50 m breiten Zwinger
oder Zwingel, der von keinen Bauwerken verstellt werden durfte. Ihn schloss
nach außen die 75 cm dicke, mit Schießscharten versehene Zwingermauer ab.
Der anschließende breite Stadtgraben, in dessen Mitte ein Wassergraben
verlief, gehörte der markgräflichen Herrschaft.
Je fragwürdiger der militärische Nutzen der Anlage wurde, umso mehr
verstärkte sich der Druck interessierter Bürger auf die Stadtverwaltung,
den Zwinger für private Bebauung freizugeben. Von solchen Bestrebungen
lesen wir zuerst in einem Protestschreiben der Seilerzunft vom Mai 1794, die
auf ihre im Zwinger unterhaltenen Seilbahnen nicht verzichten wollte. Im
selben Jahr präzisierte der "Amtskeller" Dietz: "Durch die
erste Mauer möchten einige Bürger durchbrechen und den sog. Zwingel überbauen,
die äußere Mauer bliebe folglich stehen, denn auf diese würde das Gebälk
gesetzt." Wegen des "staatlichen" Stadtgrabens hatte auch
die Regierung mitzureden. Schon am 24. 0ktober 1794 entschied der Hofrat in
Karlsruhe: "Wir wollen anmit das Durchbrechen der inneren Stadtmauer und
das Überbauen des zwischen dieser und der äußern Stadtmauer befindlichen
Zwingers in dem Maaße gestatten, daß bei Strafe von den Bauenden in die äußere
Stadtmauer weder Lichter (= Fenster) noch sonstige Oefnung gemacht werden
sollen." Damit war also der Startschuss für unsere Häuserreihe gefallen!
Es gab aber noch mehr zu beachten. Würde auf die Zwingermauer ein Obergeschoss
gesetzt, müssten die Fenster "mit eisernen Gittern versehen" werden,
und auf den Dächern seien Schutzbretter anzubringen, "damit die
herunter fallenden Ziegel dem gleich außen daran befindlichen herrschaftlichen
Grasboden keinen Schaden zufügen können". (Kein Witz!)
Zum ersten Mal führt das 1802 begonnene Feuerversicherungsbuch einige
derartige Neubauten auf, so z. B.: Invalid Reinbold: "einstöckiges, auf
den Stadtzwinger im Mauerloch erbautes Häuschen". Genauso: sein Nachbar
Georg Kuhn. Zu 1805: Heinrich Wilhelm Siebmacher: "Neu erbaute Behausung
im Mauerloch zwischen dem Stadtzwingel, rings um von Stein, oben von Holz (=
Fachwerk)." Es gab also winzige, zwischen die Mauern gequetschte Häuschen.
Erfolgreicher wurde der Typ mit dem aufgesetzten Fachwerkstockwerk zum
Wohnen, während das dunkle Erdgeschoss als Keller oder Stall für unglückliches
Kleinvieh genutzt wurde. Das Problem "Wohin mit dem Mist?" wurde
genial gelöst: Er kam in einen hölzernen oder steinernen Kasten in der Bogennische,
den man mit Brettern abdeckte. Das sah dann wie ein Kanapee (= Sofa) aus und wurde
auch so genutzt. Da die Rückseite zum Stadtgraben hin tabu war, mussten die
Häuschen vom Mauerloch aus erschlossen werden, was bedeutete, dass man mit
großer Mühe die dicke Mauer durchbrechen musste. Manche Bauherren trugen sie
freilich gleich ganz ab.
Die heutigen, mehr oder weniger glücklich sanierten und recht komfortablen
Häuser, die sich oft auch schon in den ehemaligen Grabenbereich ausgedehnt
haben, lassen die Anfänge als Billigstbauten kaum noch ahnen. Erstaunlich
ist, welche Vielfalt sich in der Ausgestaltung der im Grunde immer gleichen
Bausituation ergeben hat.
Text: Dr. Peter Güß, Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer Verein
Durlach e. V.