Offenes Denkmal 2007
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Die Dreihundertjährigen – Durlacher Hausgeschichten
Jägerstraße 32, Durlach
"Jägerstraße, "Jägergasse" – so heißt diese Gasse seit den
frühesten Aufzeichnungen. Mit Recht, denn nicht zu übersehen ist das namensgebende
Jägerhaus, in dem heute noch Reste stecken von dem stattlichen Bau, dessen
hochaufragendes Dach schon auf dem Merian-Stich aus der Zeit lange vor dem
großen Brand auffällt. Wenn man in den ersten Jahrzehnten nach 1700 vom
Schloss her kam, flankierten den Eingang zur Gasse zwei dreistöckige
Geschäftshäuser. Die beiden folgenden sehr ansehnlichen Bauten rechts und
links gehörten jeweils einem Kammerdiener, der zugleich Operator oder Chirurg
war, Johann Conrad Zachmann und Israel Gebhardt; sie tragen noch heute die
Familienwappen. Links folgen zwei Häuser jüngeren Datums (kenntlich an den
viereckigen Hoftoren), da sie auf dem lange unbebauten Ruinenareal des
Spitals und der Spitalkirche stehen. Die restliche Bebauung ist von deutlich
bescheidenerem Zuschnitt. Die Nähe des Schlosses ließ mehrere niedere Hofbedienstete
sich hier ansiedeln, bis sie später nach Karlsruhe abwanderten: Kammerlakai,
Mundschenk, Reitschmied, Hofschmied. Der Rest sind Handwerkerhäuser.
Was an dem Haus Nr. 32 sofort auffällt, ist, abgesehen von dem gefälligen
Fachwerk, die torlose Durchfahrt. Erst wenn man nähertritt, sieht man, dass sie
nicht in einen Hof führt, sondern in ein "Gässle. Diese schmalen, stillen,
abrupt endenden öffentlichen Stichsträßchen sind gerade für die Jägerstraße
typisch. Denn hier verläuft die Stadtmauer in einem so großen Abstand (50-70
m) parallel zu dieser Straße, dass das dazwischenliegende bebaute Areal
anders nicht zugänglich gemacht werden kann. So ein Gässle kann, wenn es eng
und menschenleer zwischen fensterarmen Mauern verläuft, etwas Bedrückendes
an sich haben; es kann aber auch, wenn es wie im vorliegenden Fall durch
Begrünung und andere belebende Maßnahmen der Anwohner aufgelockert ist, ausgesprochen
anziehend und heimelig wirken. Wenn man schon, von der Pfinztalstraße
kommend, beim Eintritt in die Jägerstraße in eine andere, bescheidenere und
stillere Welt eintaucht, so gilt dies erst recht beim Betreten dieses
Gässchens.
Zum Grundstück von Nr. 32 gehörte bis ins 20. Jahrhundert das Areal der
heutigen Nr. 30, wo Platz war für Gartengelände und einen Stall. Das Wohnhaus
wurde vergleichsweise früh nach dem Brand erbaut von dem markgräflichen
Mundschenk Michael Leutz, 1706 jedenfalls wird es schon als "Behausung
genannt. Mit seiner in der Jägerstraße seltenen Unterkellerung und den zwei
Steinwänden im Erdgeschoss weist es einen durchaus gediegenen Standard auf.
Die Hausherren hatten offenbar einen festen Platz unter den markgräflichen
Bediensteten; auf den Mundschenk folgte Johannes Leutz, Forstknecht zu
Singen, dann der Jäger Johann Christian Leutz.
Als letzte aus der Sippe der Leutz hatte die Witwe des Küfers Ernst Kindler das
Anwesen geerbt. Eine Liste von 1766 gibt uns einen Eindruck von der Belegung
des Hauses. Die Besitzerin wohnte allein in einer Wohnung (Zimmer, Kammer,
Küche) im Obergeschoss. Ebendort bewohnte "hinten eine verwitwete Tochter
der Besitzerin mit zwei erwachsenen Töchtern und einem kleinen Sohn ein
Zimmer; eine Küche hatte sie nicht, sondern kochte im Vorkamin. Im Erdgeschoss,
das wegen der Durchfahrt nur ein Zimmer und eine Küche hatte, lebte der Hintersasse
Jakob Teufel, Handlanger im Steinbruch, mit seiner Frau, zwei erwachsenen Söhnen
(Steinhauer und Steinbrecher) und einer erwachsenen Tochter.
Im 19. Jahrhundert wechselte sich eine bunte Reihe von Handwerkern ab, die
jenseits des kleinen Hofes Werkstätten und Kleintierställe bauten, veränderten
oder abrissen: der Weber Wacker, der Küfer Delcker, der Schuster Altfelix, der
Kettenschmied Rittershofer. Um 1900 wurde an der Stelle des Gartens und der
Ställe ein Wohnhaus mit Werkstatt gebaut, die spätere Nr. 30. Hier zog bald und
für einige Jahrzehnte der Feilenhauer Karl Hofmann ein. Im vorderen Haus
betrieb Heinrich Schweikert lange Zeit eine Milchhandlung. Zu ihr gehörte der
heute noch bestehende kleine "Schopf: Er war der Stall für den Esel, der
den Wagen mit den Milchkannen zog.
Hier ist der Ort, um von dem Forschungsproblem mit der "Nehlade zu
berichten. Im Feuerversicherungsbuch von 1758 werden immer wieder Nebengebäude
als "Nehlade oder "Nelade bezeichnet oder sollen ein "Nehladendach
haben. Der geheimnisvolle Begriff verursachte jahrelanges Kopfzerbrechen,
manche hielten ihn für ein französisches Wort. Bis jemand auf die Gleichung
kam: Nehlade = Näh-Lade = Nähkasten oder Nähtruhe – mit einer Art Pultdach, wie
man das heute nennt. Beispiel: der Eselsstall-Schuppen mit Nehlade.
Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte das Haus Nr. 32, wie mehrere Häuser der
Nachbarschaft, Max Antritter, später dem Dreher Karl Röcker. Seit 1980 ist es
im Besitz der Familie Leopold, die es gründlich, aber doch behutsam renoviert
hat und maßgeblich daran beteiligt ist, dass "das Gässle eine bekannte und
beliebte Adresse geworden ist.
Text: Dr. Peter Güß, Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer
Verein Durlach e. V.