Offenes Denkmal 2007
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Die Dreihundertjährigen – Durlacher Hausgeschichten
Jägerstraße 19, Durlach
"Erbaut im Jahre 1706 von dem markgräflichen Oberjäger Kießling."
Selten geben uns die Durlacher Akten eine so präzise Auskunft. In diesem Falle
aber überschütten uns die Eintragungen zum Jahr 1706 mit geradezu dramatischen
Nachrichten. Sie lassen sich so zusammenfassen: Wo heute das langgestreckte
Haus Nr.19 steht, lagen damals zwei Hausplätze in Ruinen. Der westliche gehörte
der Witwe eines Hans Jakob Herbst, der Eckplatz dem Wagner Hans Georg Wierumb.
Der hatte das Eckhaus – auch das wissen wir – 1679, also zehn Jahre vor dem
Großen Brand, gekauft. Die beiden Grundstücke erwarb 1706 der vermögende
Oberjäger Cornelius Kießling (er besaß schon ein großes Anwesen in der
Zunftstraße), um sich ein stattliches Haus schräg gegenüber seinem Amtssitz,
dem "Jägerhaus" (Jägerstr. 48A), zu erbauen. In die Eckposition kam
das zweistöckige Wohnhaus, teuer und solide mit drei Steinwänden errichtet.
Es schloss sich, unter gemeinsamem Dach, eine Scheune an, weiter nach Westen
folgten der Hof und die restlichen Ökonomiegebäude.
Schon in den nächsten Monaten muss der unglückliche Oberjäger verstorben
sein; denn noch im selben Jahr werden als Eigentümer des Neubaus die
"Erben des Oberjäger Cornelii Kießling seelig" registriert. Unter
ihnen war sicher Ludwig Kießling, wahrscheinlich sein Sohn und jedenfalls sein
Nachfolger. Zehn Jahre später wird die Tochter, Wilhelmina Magdalena, als
Eigentümerin genannt. 1742 taucht ein neuer Besitzername auf: David
Schmidt, Oberjäger zu Carlsruh. Hier darf man raten: Wie kam ein Karlsruher
Beamter zu einem Haus in Durlach? Angesichts der verbreiteten Praxis,
innerhalb der Branche zu heiraten, liegt nahe, dass er der Schwiegersohn des
Erbauers war. Auch 1758 verblieb das Haus mit dem Besitzer, dem Forstverweser
Schmidt, innerhalb der Familie und der Berufssparte.
Doch dann vollzog sich um 1760 auch hier der für Durlach typische Vorgang: Die
Nachfolge der nach Karlsruhe entschwundenen Hofbeamten traten Handwerker an.
In unserem Fall war es der Wagner Jakob Heidt. 1766 bewohnte er mit seiner Frau
recht komfortabel das Erdgeschoss, das wahrscheinlich auch die Werkstatt enthielt;
im Obergeschoss war für zwei Wohnungen Platz, jeweils mit einer Küche, einem
Zimmer und einer Kammer. Dort wohnte ein markgräflicher Weingärtner und
Heubinder mit seiner Frau und drei Kindern, dazu eine Hutmacherswitwe. Die
andere Wohnung hatte ein Dragoner mit seiner Frau und vier Töchtern. Man sieht
hier wieder einmal, wie sich an der Belegungsdichte die sozialen Unterschiede
ablesen lassen.
Ungewöhnlich ist, wie lange die Sippe der Heidts diese Immobilie besaß: bis
1937, also über 175 Jahre. Sie erlebten dabei die typischen Veränderungen in
der Durlacher Situation. Die Krise des Handwerks im 19. Jahrhundert führte
dazu, dass viele ihr Handwerk ruhen ließen und sich auf ihren bäuerlichen
Nebenerwerb konzentrierten. So wird nach den Fuhrleuten Adam und Gabriel
Heidt 1888 der Landwirt Friedrich Heidt genannt. Die landwirtschaftlichen
Kleinstbetriebe ermöglichten freilich nur Kümmerexistenzen, und so griff
man in großem Maße zu den Möglichkeiten, die die stark einsetzende Industrialisierung
bot: entweder selbst in die Fabrik zu gehen oder, wenn Hausbesitz vorhanden
war, an die einströmenden Arbeiter zu vermieten.
Dazu waren allerdings bauliche Veränderungen geboten. Leider wissen wir
nicht genau, in welchem Jahr der Umbau hier vollzogen wurde. Jedenfalls
verschwanden Scheune und Stall, der Hof wurde verkleinert bis auf einen Rest,
der heute noch in der alten Form existiert, und die Durchfahrt erübrigte sich.
Das Wohngebäude konnte somit fast auf das gesamte Areal ausgedehnt, die
Fassade auf die ganze Länge durchgezogen und angeglichen werden. Schließlich
wurde ein drittes Stockwerk hochgezogen. Als Ergebnis finden wir seit
spätestens 1888 jeweils neun bis zwölf Haushalte in dem Gebäude untergebracht.
Der Betrieb eines solchen, überwiegend mit sozial schwachen Mietern besetzten,
Wohnsilos, wie sie in der Durlacher Altstadt nicht selten waren, mag einige
Jahrzehnte gutgehen. Spätestens im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts waren
die baulichen Folgen unübersehbar. In unserem Objekt wurde 1984 eine erste
größere Sanierung durchgeführt, der im Sommer dieses Jahres (2007) ein
zweiter Anlauf folgte. Das Ergebnis richtet sich auch diesmal in charakteristischer
Weise nach dem heutigen Bedarf: eine kleinere Zahl von Wohnungen eines
gehobenen Standards und, in den unteren Geschossen, Einrichtungen des Dienstleistungsbereichs,
hier auf dem medizinischen Sektor.
Text: Dr. Peter Güß, Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer Verein
Durlach e. V.