Offenes Denkmal 2007
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Die Dreihundertjährigen – Durlacher Hausgeschichten
Jägerstraße 11, Durlach
Ein schönes Beispiel für ein Handwerkerhaus ist Jägerstraße 11. Das
Grundstück hatte einem hohen Kirchenmann gehört, Herrn Johann Adam Wildt, der
als Spezialsuperintendent zu Auggen im Oberland seinen ruinösen Durlacher
Grundbesitz wohl gerne abstieß. Käufer und Erbauer war der Schuhmacher
Christoph Sauer (nicht zu verwechseln mit dem Küfer Christoph Sulzer, der
seinen Namen ebenfalls CS abkürzte und ein Jahr später und zwei Häuser weiter
seine Küferei erbaute). Seine Initialen samt dem Erbauungsjahr 1707 stehen
auf dem Schlussstein des schönen Tores, dessen Rundbogen, typisch für die
Erbauungszeit, auf zwei Würfelkapitellen ruht. Im amtlichen „Pfundbuch“
ist festgehalten, dass es sich um ein „Modellhaus“ handelte, also ein den
markgräflichen Bauvorschriften genügendes Haus, womit es Anspruch auf unentgeltliches
Baumaterial und steuerliche Erleichterungen hatte. Dazu gehörte, dass
das sonst kostengünstig in Fachwerk aufgeführte Haus wenigstens im Erdgeschoss
zwei steinerne Wände aufzuweisen hatte - was heute noch nachzuprüfen ist.
Ein aufmerksamer Besucher mag sich fragen, warum das nicht sehr große Haus
drei Kamine besitzt und warum in einem kleinen Nebenraum im Erdgeschoss Wand
und Decke rußgeschwärzt sind, als habe es gebrannt. Die Antwort gibt der
Besitzer-Eintrag von 1742: Christoph Goldschmidt, Hufschmied. Dass die Schmiede
im Erdgeschoss untergebracht war, zeigt ein Eintrag in einer Liste von 1766.
Danach besaß das Haus zwar im Obergeschoss zwei Wohnungen, unten aber nur ein
Zimmer und eine Küche. In ihnen hauste wundersamerweise der Hufschmied
Christoph Goldschmidt mit seiner Frau und fünf erwachsenen Kindern. Der Sohn
„jung Christoph Goldschmidt“ verfügte oben mit Frau und zwei Söhnen immerhin
über ein Zimmer, eine Kammer und eine Küche. Daneben gab es ein Zimmer und eine
Küche für den Taglöhner Jakob Leicht mit Frau und zwei Kindern, nicht zu
vergessen Anna Berger, die Witwe eines Steinbrechers. Versucht man, in
Gedanken diese 16 Personen in dem Haus unterzubringen, muss man wohl einige
amtlich nicht gezählte zugige Verschläge in dem hohen Speicher annehmen oder
wahlweise Schlafplätze neben der warmen Esse.
Groß kann die Schmiede nicht gewesen sein; die zu beschlagenden Pferde
mussten mit Sicherheit auf der Jägerstraße oder in der Durchfahrt stehen.
Mag uns das alles etwas eng erscheinen - es hat offensichtlich funktioniert.
Denn ein Goldschmidt nach dem anderen betrieb hier sein Schmiedehandwerk.
Erst hießen sie alle Christoph und lassen sich deshalb schwer zählen. Das 19.
Jahrhundert fing mit einem Friedrich an, und als letzter der Sippe erwähnt
wurde 1842 Daniel Goldschmidt. Danach wurde die Esse wohl stillgelegt, und
zumindest zwei Generationen namens Meier wirkten hier als Landwirte zwischen
1888 und 1926. 1926 hatte sich einer eine „mechanische Werkstätte“ eingerichtet.
Danach bewohnten das Haus bis zu drei Arbeiterfamilien gleichzeitig.
In den 1960er Jahren teilte das Anwesen das Schicksal vieler anderer in der
Durlacher Altstadt: Aufgrund ausbleibender Investitionen und Reparaturen
drohte es zu verfallen; der Wohnstandard erreichte die Talsohle. Da erwarben
1972 der Ingenieur Georg Karathanos und seine Frau Artemis das hoffnungslos
erscheinende Objekt und begannen, Schritt für Schritt ihrer Familie hier ihre
zweite, ihre deutsche Heimat zu schaffen (wobei die selbstbewusste Pflege der
griechischen Wurzeln nie zu kurz kam). Diese Tradition wird heute in der
nächsten Generation fortgesetzt: Ständig sind neue Räume und Winkel daran,
ausgebessert und vervollkommnet zu werden.
Ausstellung: Bilder der Durlacher Künstlerin Judith Ehrfeld
Das Denkmal ist sonst nicht öffentlich zugänglich.
Text: Dr. Peter Güß, Freundeskreis Pfinzgaumuseum – Historischer Verein
Durlach e. V.