Offenes Denkmal 2009
Karlsruhe: Stadtgeschichte
Modellhaus und ehemaliges Scheunen-Stall-Gebäude
Bienleinstorstraße 39, Seboldstraße 32, Durlach
Rundbogentor mit Engelsturz, 1970er Jahre
Modellhaus
Das zweigeschossige Wohnhaus gehört zu den Modellhäusern der wieder
aufgebauten Markgrafenstadt. In den Jahren 1718 und 1722 entstand nach
der Modellbauverordnung von 1698 ein breit gelagertes Haus mit großem
Rundbogentor. Auf die unterschiedliche Bauzeit weisen ein Steinsturz mit
zwei abgewitterten Engelsköpfen über dem alten Hauseingang und ein Schlussstein
im Torbogen hin. Mit den Jahreszahlen wird auch der Psalm 23 zitiert:
"DER HERR IST MEIN HIRT/ MIR WIRD NICHTS MANGELN". Beide Male tauchen
die Initialen des Bauherrn IMS auf.
Bauherr des Hauses war Johann Michael Scheerle, ein Steinmetz, dessen Embleme,
ein Spitzhammer mit zwei gekreuzten Scharriereisen, in der Kartusche
verewigt sind. Er dürfte auch für die Steinarbeiten an seinem Haus verantwortlich
sein. Die lange Aufbauphase ist offenbar der Tatsache geschuldet, dass das
heutige Grundstück vor der Zerstörung 1689 in zwei Parzellen aufgeteilt war.
Gewölbereste eines Vorgängerbaus haben sich unter der Tordurchfahrt
erhalten. Mit den Engelsköpfen ist offenbar ein Hinweis auf einen katholischen
Betraum gegeben. Über die weitere Besitzergeschichte ist wenig bekannt. Bis
zum Übergang an die Volkswohnung der Stadt Karlsruhe wurde in dem Anwesen ein
Gipsergeschäft betrieben.
Architekturaufnahme Tür, 1914
Das Modellhaus besaß auf der Rückseite eine Galerie im
ersten Obergeschoss, die - wie heute - über die ganze Breite des Hauses
angelegt war. Hier muss sich auch der ursprüngliche Außenaufgang zum
Obergeschoss befunden haben, der spätestens in den zwanziger Jahren des
letzten Jahrhunderts aufgegeben wurde. Im Hof befand sich auch ein Seitenbau
als Scheunen-Stallgebäude, das bis an die rückwärtige Stadtmauer
reichte.
Um 1925 fanden ein einschneidender Umbau und eine Erweiterung der Hofanlage
statt, eine Maßnahme, die tiefgreifende Folgen hatte.
Der alte Eingang von der Lammstraße (heute Bienleinstorstraße) wurde
aufgegeben und zu einem Fenster umgebaut. Aufgegeben wurde auch die Galerietreppe
im Hof. Treppenhaus und Zugang zur Erdgeschosswohnung wurden in die
Tordurchfahrt verlegt. Die Rückseite des Hauses erhielt einen WC-Turm und
einen Anbau, das Dachgeschoss drei Wohnräume mit einer weiteren Galerie zum
Hof und einem Gaubenhaus zur Straße. In den aufgefüllten Stadtgraben setzte
man ein Scheunen-Stall-Gebäude (Seboldstraße 32). Mit der "Altstadtsanierung
Durlach" in den 1980er Jahren konnte für das Kulturdenkmal eine neue
Zukunft gefunden werden. Vorangegangene Abbruchgedanken und radikale
Umbaukonzepte kamen nicht zum Tragen.
Mit einem Besitzerwechsel an die heutigen Eigentümer fand in den Jahren
1985-89 eine umfassende Renovierung des Kulturdenkmals mit dem Ziel statt,
das barocke Modellhaus wieder so bewohnbar zu machen, dass seine dreihundertjährige
Geschichte nachhaltig erlebbar wird. Das weitgehend verlorene Erscheinungsbild
des in die Jahre gekommenen Modellhauses konnte in den wesentlichen
Bereichen wieder hergestellt werden. Einen wesentlichen Beitrag leisten die
neuen Barockfenster, die hier als die "Augen des Hauses" angesprochen
werden können.
Rückwärtiges Scheunentor
Ehemaliges Scheunen-Stall-Gebäude
Steiles Satteldach und Tennendurchfahrt sind die auffälligsten Kennzeichen
des ehemaligen Scheunen-Stall-Gebäudes an der Seboldstraße. Der verputzte,
zweigeschossige Bau entstand um das Jahr 1925. Offenbar mit dem Steinmaterial
der Stadtmauer im Graben gegründet und aufgemauert, war ihre ursprüngliche
Nutzung als Scheune, Stall und Werkstatt vor Jahren ausgelaufen.
In neue Hände gelegt, erhielt der Scheunenbau mit der Umnutzung "Wohnen
und Arbeiten" eine hoffnungsvolle Zukunft. Mit der Einrichtung einer
Klarinettenwerkstatt und "sala terrena" im Erdgeschoss bekam der
historische Ökonomiebau mit einer großzügigen Wohnetage im Obergeschoss
ein angemessenes inneres Ambiente. Das alte Bild hat sich zu Gunsten des
Hauses wesentlich verändert. Doch bis heute ist der alte Scheunencharakter
nicht verloren gegangen.
Text: Dr. Hermann Diruf