Geschichtswerkstatt

Zeitzeugeninterview - 13

Posseltstraße 4

Bericht über die Geschäftswelt von Durlach in den Jahren von ca. 1955 bis 1966 aus der Erinnerung von Irene Gerner

Wir wohnten in der Posseltstraße 4 „auf dem Turmberg“ wie es in Durlach hieß, also einer reinen Wohngegend. Dennoch waren in einer Entfernung von ca.370 m alle Geschäfte des täglichen Bedarfs zu erreichen. Der Einkauf des täglichen Bedarfs oblag den Kindern. In meiner Erinnerung war das vor allem ich, die Jüngste. Täglich war Milch zu holen beim Milchgeschäft Helfenstein in der Grötzingerstraße 18. Das Geschäft war etwa 10 m2 groß, über 3 Stufen am Eingang zu erreichen und war das äußerste Zimmer der daneben liegenden Wohnung, so dass der Inhaber, wenn keine Kunden da waren, in die Wohnung gehen konnte.

Herr Helfenstein war klein, rundlich, mit blanker Glatze und von eher ruhigem Gemüt. Die Milch pumpte er mittels eines Hebels aus der unter dem Ladentisch verstauten blechernen Milchkanne in die ebenfalls blechernen Milchkannen der Kunden. Sahne jedoch wurde aus einer kleineren Kanne mit einem Messbecher abgemessen und in die mitgebrachten Behältnisse geschöpft. Dabei war er sehr genau, noch den letzten Tropfen schüttelte er mit weit ausholenden Armbewegungen in die Flaschen. Joghurt war schon damals in kleinen Fläschchen von der Molkerei abgefüllt. Man war froh, wenn nur Herr Helfenstein im Laden war. Samstags oder wenn mehr Kunden zu bedienen waren, war auch seine Frau im Laden. Sie war allerdings weniger gemütlich, groß, mit schwarzem aufgetürmtem Haar und ziemlich herrisch, eigentlich das Gegenteil ihres Mannes. Mit der Milchkanne wurde auf dem Heimweg das Gesetz der Zentrifugalkraft erprobt indem man die Kanne mit ausgestrecktem Arm in kreisende Bewegung versetzte. Auch war es beliebt, aus dem Schlitz zwischen Kanne und Deckel Milch rauszuschlürfen.

Brot und samstags Bretzeln und Weck kauften wir an der Kreuzung Lamprechtstraße / Neuensteinsstraße beim Bäcker Burkhardt. Die Familie war 1953 aus dem Schwäbischen hergezogen und meine Mutter lobte immer die Bretzeln, die „schwäbisch“ seien, das heißt oben im weichen Teil mit einem aufgeplatzten Schlitz. Dort war auch regelmäßig das Schild angebracht „Nudeln für Maultaschen kann bestellt werden“ was wir allerdings nie in Anspruch nahmen, da meine Mutter eine Nudelmaschine hatte.

In der Neuensteinstrasse war noch die Bäckerei Treiber ca. 30 m von der Bäckerei Burkhardt entfernt für uns also eigentlich näher. Wir haben aber nur im äußersten Notfall dort eingekauft aus welchem Grund weiß ich nicht mehr.

Schräg gegenüber von Bäcker Burkhardt war das Konsumgeschäft mit Gemüse, Nährmittel und einfach allem was man so braucht. Da man ja noch bedient wurde, hatte man oft Zeit die selbstgeschriebenen Plakate zu lesen. Über dem Gemüse war folgendes angebracht: “Wir bitten unser Kundschaft höflichst sowie dringend , die Ware nicht zu berühren“ Vielleicht sogar mit Ausrufezeichen. Meine Mutter hat einmal im Monat eine große Bestellung beim Konsum abgegeben, die dann nach Hause geliefert wurde. Ich kann mich noch erinnern, dass dann der halbe Wohnungsflur voll Lebensmittel lag und es war wirklich ein langer Flur. Wenn ich mich recht erinnere, kostete das Ganze 100 Mark.

In der Grötzingerstr.35 oder 37 , genau weiß ich es nicht mehr, war im Hof in einem Schuppen die Werkstatt unseres Schumachers Stickel. Herr Stichel legte großen Wert darauf , dass er „Schumacher“ sei und kein „Schuster“, was ich als Kind nicht verstand, heute aber sehr wohl. Er war groß, in einen blauen Arbeitsmantel gekleidet und hatte eine beachtliche, von roten Äderchen durchzogene Nase. Meine Mutter argwöhnte , die Nase komme vom übermäßigen Alkoholgenuss, was nicht bewiesen war und was ich als Kind sehr häßlich von ihr fand, da er so ein netter Mann war. Wenn er nämlich Reste von der Verarbeitung von Kreppsohlen hatte, formte er kleine Bälle für uns Kinder. Die Bälle hatten eine enorme Sprungkraft und waren sehr begehrt.

Eine Wäschemangel war im Hof eines Hauses in der Lamprechtstraße Nähe ASV-Sportplatz untergebracht. Ich kann mich noch erinnern, dass wir dort Wäsche hinbrachten, allerdings nicht allzu lange, da meine Mutter als fortschrittliche Hausfrau, die ihren Haushalt arbeits- und betriebswirtschaftlich durchdachte und vor allem allem Neuen sehr aufgeschlossen war, bald eine eigene Mangel kaufte.

Nach Aussage einer Nachbarin, einer Tochter aus besagter Bäckerei Burkhardt, gab es in der Lamprechtstraße noch einen Milchladen und eine Metzgerei, an die ich mich aber nicht erinnern kann.

Schließlich gab es noch ein Cafe an der Ecke Neuensteinstraße/Alte Weingärtnerstraße damals noch ohne Zusatz „Alte“.

In den frühen 60ger Jahren gab es auch eine Diskothek in Durlach den „Atlantikkeller“. Er war im Keller des neu erbauten Hauses an der Endstation der Straßenbahn. Heute ist dort eine Spielhalle. Nach Partys, die in den Wohnungen gefeiert wurden und wir noch nicht nach Hause wollten, machten wir dort den Abschluss.

In der Gymnasiumstraße war neben dem Schreibwarengeschäft Kraus die Konditorei Beck. Hier traf sich meine Großmutter immer mit dem „Pfälzer Kranz“ einer Gruppe geborener Pfälzerinnen, die es in den Raum Karlsruhe verschlagen hatte. Zu diesem Kranz gehörte auch Frau Schlaile aus dem gleichnamigen Musikgeschäft in Karlsruhe. Herr Beck buk sehr guten Kuchen, vor allem sind mir die Mohrenköpfe, Eclairs und Holländerschnitten in Erinnerung. Wir Kinder durften unsere Großmutter dort abholen und durften uns bei der Gelegenheit ein „Stückchen“ aussuchen. Leider kam meist meine ältere Schwester in den Genuss, sie war der Liebling unserer Großmutter, was bei meiner vorlauten Art kein Wunder war. Herr Beck musste leider später seine Konditorei aufgeben.

Farben und Tapeten kauften wir bei Farben Schäuble an der Endstation wo er noch immer sein Geschäft hat. Normalerweise ließen wir unsere- Malerarbeiten von Maler Koppenhöfer erledigen, aber Anfang der 60ger Jahre ergriff die „do-it-your-self“-Mode meine Mutter und sie hat einiges selbst renoviert.

Drogeriewaren kauften wir bei der Drogerie Wächter Ecke Karl Weysser/Badenerstraße. Er führte von Seife bis Waschsoda oder Besen alles was damals zum Drogeriesortiment gehörte, meist offen und in Tüten abgefüllt.

Jeden Samstag wurde meine Schwester, 5 Jahre älter als ich , zum Sonntagseinkauf zur Metzgerei Bühler gegenüber der Karlsburg, damals Schloßschule, geschickt. Dort wurde der Sontagsbraten gekauft und was man sonst noch an Wurst für den Wochenbedarf brauchte. Es kann nicht viel gewesen sein, denn die Lagermöglichkeit war ja noch eingeschränkt. Frau Bühler war eine Metzgerin mit Leib und Seele, voller Stolz gab sie ihren Kunden immer das „beste Stück“ und wenn man ihr glauben konnte, aß sie immer die schlechten Stückle. Nichts desto Trotz hat es aber weder ihren Umfang noch den ihres Mannes geschmälert. Neben Metzger Bühler logierte der Zucker-Bühler , ein sehr feines Schokoladengeschäft, in dem man bei besonderen Gelegenheiten z.B. Ostern einkaufte. Die beiden Bühler waren übrigens Brüder.

Am Marktplatz war später die italienische Eisdiele damals glaube ich die einzige in Durlach. Sie war eine Institution für uns Schüler und wir haben dort erstmals das gute italienische Eis kennengelernt.

Am Eck Marstallstraße/Pfinztalstraße war schon damals das Reformhaus Böser. Wir kauften einige ausgewählte Dinge ich kann mich aber nicht mehr genau erinnern, vielleicht war es Käse. Vor allem hat aber meine Mutter im Sommer immer Obst aus unserem Garten dorthin geliefert, was in der Nachkriegszeit ein willkommener Zuverdienst war. Das Obst war auch absolut ungespritzt und somit für’s Reformhaus geeignet. Der alte Firmeninhaber war eine Gestalt von Haut und Knochen und nur ab und zu zu sehen. In unserer Familie war man der Meinung, er sei keine Reklame für diese Art der Ernährung.

Unsere Fotos ließen wir bei Foto Hinkelmann am Schloßplatz entwickeln. Unsere Apotheke war die Turmbergapotheke von Willi Weber, damals die unserer Wohnung nächst gelegene. Schulhefte kauften wir im Schreibwarengeschäft Zachmann in der Pfinztalstrasse 3, auch dieses Geschäft damals 3 Stufen hoch wie es meist üblich war. In meiner Erinnerung waren die Zachmanns schon damals ziemlich alt und das Geschäft ein dunkler, vollgestopfter Raum. Wir gingen aber dennoch lieber dort hin als zu dem näher gelegenen Geschäft Kraus.

Schlecht erwischt hatte man es als Kind, wenn man etwas auf die Post bringen mußte. Damals war die Post bei Gritzner die einzige Möglichkeit, Briefmarken zu kaufen oder Pakete abzugeben. Von der Posseltstrasse war das ein weiter Weg vor allem für ein Kind. Aber Besorgungen zu erledigen war nun einmal Kindersache.

Kurzwaren und manchmal auch Wäsche kaufte man bei Pfisterer am Markplatz. Gegenüber war das Geschäft von Kravatten Weber , der den Umsatz gerne mit dem Satz „ die hab ich schon oft verkauft“ ankurbelte.

Die wenigen Schallplatten, die ich für mich mit meinem schmalen Taschengeld erstehen konnte oder aber für eine Freundin zum Geburtstag kaufte, fand ich bei Radio Kolbe in der Pfinztalstraße gegenüber der Friedrichschule neben dem Markgrafentheater (Film). Herr Kolbe hatte sein Angebot an Schallplatten – überwiegend kleine Singleplatten- in einem kleinen, schmalen Raum hinter seinem eigentlichen Laden.

In der Pfinzstraße Ecke Ochentorstraße gab es eine Pferdemetzgerei, die auch Freibankfleisch verkaufte. Freibankfleisch war Fleisch von notgeschlachteten Tieren, das aber einwandfrei und für menschlichen Verzehr geeignet war. Allerdings war es deutlich billiger als beim normalen Metzger. Ich war jedoch nie in dem Laden.

Wolle und sonstige Handarbeitsutensilien konnte man bei „der Madern“ kaufen in der Zunftstraße. Dort traf man bei einem Einkauf meist eine Gruppe von Frauen an, die den Nachmittag mit Handarbeiten und Schwätzen verbrachten. Wir Kinder spotteten über diese Frauen und waren der Meinung, sie benötigten bei jeder gefallenen Masche die Hilfe von Frau Mader. Sicherlich war es zumindest praktisch, dass mit Frau Mader immer eine kompetente Frau vor Ort war.

1961 war es durchaus noch üblich, Kleider von der Schneiderin anfertigen zu lassen. So wurde mein Konfirmationskleid von Schneiderin Allgaier in der Dornwaldsiedlung genäht. Ich hätte viel lieber ein gekauftes Kleid getragen wie die meisten Konfirmandinnen. Aber meine Mutter fand das wohl zu putzsüchtig und wollte ein schlichtes Kleid.

Zwei Handwerksbetriebe , die es heute nur noch selten gibt, möchte ich noch erwähnen. Da war zum einen der Hufschmied am Saumarkt. Es hat mit immer fasziniert , wenn mit viel Gezische und Rauch das Eisen auf den Huf gedrückt wurde. Zum andern arbeitete in der Badenerstraße schräg gegenüber von Drogerie Wächter ein Küfer. Im Hof waren allerlei Fässer gelagert. Es war für mich auch ein etwas geheimnisvoller Beruf. Wir haben von seinen Diensten keinen Gebrauch gemacht und deshalb habe ich seine Arbeit nur von der Straße aus durch das offene Hoftor beobachten können.

Nach Karlsruhe gingen wir in meiner Erinnerung eigentlich nur um ein „Sonntagskleid“ zu kaufen. Das war immer ein schönes Erlebnis, da es doch nach erfolgreichem Einkauf mit einem Besuch in einem Cafe abgeschlossen wurde. Dort packte man auch die Einkäufe aus und erfreute sich an den schönen Erwerbungen.

Berghausen den 10.03.2017
Posseltstraße 4 | Irene Gerner-Haug


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zuletzt bearbeitet von Klaus Horn am 10.03.2017 | k-r-horn BEI t-online.de