Durlach - Wirtschaftsgeschichte

Zeitzeugeninterview - 04

Dornwaldsiedlung I

Von 1941 bis etwa 1957 wohnte ich mit meiner Mutter in der Dornwaldstraße 21.

Lebensmittel Bickel in der Dornwaldstraße 24 [1]
Bei Bickel gab es nicht nur Lebensmittel, sondern vom Hosenknopf über Schulhefte, Bleistifte und Getränke fast alles für den täglichen Bedarf. Die verderblichen Dinge wurden in einem Eisschrank aufbewahrt, der mit Stangeneis gekühlt wurde, das von der Firma Hummel, die sich am Hengstplatz befand, mit einem Pferdefuhrwerk geliefert wurde. Die Eisstangen wurden mit Eisenhaken vom Wagen gezogen; dabei haben sich kleine Eisstücke gelöst, die wir Kinder gierig von der Straße auflasen. Dies war unser erstes "Eis" ! Erst später wurde von Herrn Machauer aus der Untermühlsiedlung mit einem Fahrrad Eis mit einem kleinen Eiswagen ins Dornwäldle gebracht (2 Sorten), die Kugel für 5 Pfennig.
Es gab auch Käse bei Herrn Bickel. Am Anfang nur am Stück. Später schafftte er sich eine Schneidemaschine an. Er hat aber nur widerwillig den Käse geschnitten. Mehl, Reis, Linsen usw. waren in großen Schubladen. Es wurde dann nach Wunsch in Tüten abgefüllt. Man konnte auch kleine Mengen bekommen.
In und vor dem Laden wurden auch die "neuesten Nachrichten" ausgetauscht. Es gab ja noch kein Telefon in den Privathaushalten.

Wäscherei Huber in der Dornwaldstraße 36 [2]
Nach dem Krieg gab es direkt unserem Haus gegenüber die erste Wäscherei. Hier konnte man seine Wäsche selbst in großen Maschinen waschen. Dies war eine große Erleichterung. Bis zur Öffnung der Wäscherei Huber haben meine Mutti und Frau Gack (wohnhaft im 1. Stock; wir wohnten im 3. Stock) in der Waschküche unseres Hauses in einem großen mit Holz beheizten Kessel gewaschen und gespült mit riesigen Holzlöffeln. Die Wäsche wurde bei Wind und Wetter im Sommer und im Winter im Hof an Stangen aufgehängt, die mit Seilen bespannt waren. Meine Mutter hatte ein Leben lang Frostbeulen an den Händen.
Einmal im Monat wurde die Bettwäsche gemangelt. Dies war nur bei Schüssler [3] in der Pfinztalstraße möglich. Um die Wäsche dorthin zu transportieren haben Frau Gack und Mutti im Sommer ein Fahrrad benutzt : eine schob das Rad und die andere hielt den Korb auf dem Gepäckträger fest; im Winter nutzten sie einen Schlitten. Dies alles wurde durch Huber einfacher.

Fürstenhöfer in der Johann-Strauß-Straße 6 - Milch und Molkereiprodukte [4]
Jeden Tag wurden wir Kinder mit einer Milchkanne zum "Fürstel" geschickt, um frische Milch zu holen. Die Milch wurde mit einem Meßbecher in unsere Kannen geschöpft. Auf dem Heimweg trafen wir uns, um die Kannen "zu schleudern". Dies war wunderbar - bis der Arm müde wurde und es einen Ruck gab und sich die Milch auf den Bürgersteig ergoss. Der Rest des Weges war dann nicht mehr so lustig.

Metzgerei Sauder in der Dornwaldstraße 13 [5]
Endlich gab es in einem umgebauten Schopf eine Metzgerei. Wir Kinder bekamen von Frau Siegmann, der Filialleiterin, immer ein Stück Wurst - damals eine Kostbarkeit. Samstags hat meine Mutti als besonderes Nachtessen immer 1/2 Pfund Aufschnitt und den damals üblichen Sonntagsbraten gekauft.

Wir waren also in der Dornwaldsiedlung für den täglichen Bedarf versorgt. Jeden Freitag sind Frau Gack und meine Mutti mit uns Kindern nach Durlach gegangen. Gleich am Anfang der Pfinztalstraße war die Modistin Frau Hessler [6]. Dort wurden die neuesten Hüte eingekauft bzw.alte Modelle "umfassioniert". Ohne Hut ging man nicht nach Durlach oder gar in die Stadt (Karlsruhe). Dann weiter zur Drogerei Hinkelmann [7]. Hier kauften wir Nivea und sonstige Crème, Zahnpasta usw. Auch Fotos konnte man hier entwickeln lassen. Danach kam für uns Kinder der schönste Teil des Einkaufs: ein Besuch im Kaffee Zimmerer [8]. Ich kann mich noch sehr gut an die herrlichen Schillerlocken erinnern, die ich dort aß. Auf dem Nachhauseweg kauften wir in der Nordsee [9] Fisch bzw. geräucherte Heringe ein. Jeden Freitag gab es zum Nachtessen Fisch.

Meine Mitti hat mit Hilfe von Frau Gack alle Kleider selbst genäht. Das dazu notwendige Zubehör wurde bei Pfisterer am Marktplatz [10] eingekauft. Oft ging man auch noch zur Strickanleitung und Wolleinkauf zu Mader [11]. Dort trafen sich viele Frauen, um die neuesten Strickmuster und Modelle auszutauschen und sich Anleitung bei Frau Mader zu holen.

In die Stadt nach Karlsruhe sind wir nur selten gefahren.

Das Dornwäldle war schon ein ganz besonderer Ort - auch für Freundschaften und Geselligkeiten. Heute noch freuen wir alte Dornwäldler uns, wenn wir uns begegnen.

Die Mitgliedschaft in einem Verein war in dieser Zeit gerade für Witwen sehr wichtig. Mutti und ich waren Mitglieder der Turnerschaft Durlach. Jede Woche ging Mutti zur Frauenturnstunde und ich zur Kinderturnstunde bei Frau Kattermann und am Wochenende auf die Hub. Dort trafen sich die Familien und wir Kinder konnten rennen und spielen. Wenn meine Mutti mich ganz arg bestrafen wollte, hat sie mir verboten, ein oder mehrere Wochen zur Turnstunde zu gehen.

25.04.2016 | Ingrid Leitz, Durlach
überarbeitet am 12.08.2017


Daten aus dem Adressbuch für 1952

Haushalte im Haus Dornwaldstraße 21 :
1. Etage | Richard Gack, Ingenieur
2. Etage | Alfred Schneider, Ingenieur (Hauseigentümer)
3. Etage | Adele Urban Wwe

Betriebe, die im Text von I. Leitz genannt werden :
  Betrieb Branche Adresse Anmerkung
[1] Maria Bickel Lebensmittel Dornwaldstraße 24  
[2] J. Huber Wäscherei Dornwaldstraße 36 Adressbuch 1960
[3] Erich Schüßler Mietwaschküche Pfinztalstraße 59  
[4] Fritz Fürstenhöfer Milch u. Molkereiprodukte Johann-Strauß-Straße 6  
[5] Emil Sauder Metzgerei Dornwaldstraße 13  
[6] Martha Heßler Damenhüte Pfinztalstraße 76a  
[7] Adler-Drogerie, Hinkelmann Drogerie Pfinztalstraße 16  
[8] Friedrich Zimmerer Konditorei Pfinztalstraße 8  
[9] Nordsee Fische, Wild, Geflügel Pfinztalstraße 13 Adressbuch 1960
[10] Pfisterer & Co. Textilspezialhaus Pfinztalstraße 56a  
[11] Annemarie Mader-Hauck Handarbeiten Amthausstraße 5  

Listen der Gewerbebetriebe in der Umgebung
aus den Adressbüchern für 1939, 1952 und 1960
Dornwaldsiedlung


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K. Horn 12.08.2017 | EMail = k-r-horn BEI t-online.de