Geschichtswerkstatt

Zeitzeugeninterview - 07

Bienleinstorstraße 29

Im Dezember 1951 zogen wir (unter Umgehung des Wohnungsamtes) in die Bienleinstorstr. 29. Wohnraum war knapp und wurde zugeteilt. Meine Mutti sagte damals: "Wir packen mal nicht alles aus; vielleicht müssen wir wieder raus." Nun , es ging gut.
Wie in vielen Durlacher Stadtbürgerhäusern hatten wir noch ein Plumpsklo, aber eine Badewanne in der Küche. Und in zwei Räumen gab es sehr schöne Kachelöfen. Für mich begann damals das städtischere Leben.

Gegenüber hatte Herr Künzle [1] seine Metzgerei. Er war der Letzte, der die feinen Durlacher Kartoffelwürste gemacht hat. Die gab es traditionsgemäß immer eine Woche nach der "Kerwe". Stangeneis für den Eisschrank bekamen wir über ihn, oder es wurde angeliefert, von einem Pferdewagen gezogen. Der Anlieferer hatte dicke Lederhandschuhe an, und mit einem Haken wurden die Stangen heruntergezogen. Vom Wagen tropfte es immer und über die kleinen Eisstückchen haben sich alle Kinder gefreut.

Schräg gegenüber war das Geschäft der "Goldschmidts Gertrud" [2], ein Spezereilädle. Die vielen Spielzeugkaufläden mit Schubladen für Reis, Mehl, Zucker etc.Schaufeln, Waage, Papiertüten und Registrierkasse haben so oder ähnlich ein Vorbild gehabt. Am Eingang rechts und links waren blecherne Plakate mit Reklame für "Persil" und "Erdal".
Die Bäckerei "Ribstein" (später "Gruschwitz") [3] Hausnummer 25 war unser Bäcker.
An der Ecke Spitalstr./Bienleinstorstr. befand sich die Wirtschaft " Zum Tannhäuser" [4] auch "Schlabbe" genannt. Da habe ich zum ersten Mal, vor allem freitagabends, betrunkene Männer gesehen. Weiter vorne rechts gab es noch lange die Traditionsgaststätte „Zum Lamm“ [5]. Die Wände waren dort mit bildlichen Darstellungen und flotten Wirtshaussprüchen von dem Künstler Wagner ausgestaltet. Eine Verkaufsausstellung für Dampfkochtöpfe habe ich da erlebt.

Weiter Richtung Zunftstraße hatte die Familie Egeler [6] ihr Milchgeschäft. Da gab es Meßbecher von 1 Liter bis 1/8 Liter und vielleicht noch kleiner. Die Milch wurde aus einem Behälter gezapft. Die Mutprobe mit der Zentrifugalkraft beim Heimtragen der Milchkanne deckt sich mit allen Kindern meiner Generation. Mit dem Wirtschaftswunder wurden auch hier Butter und Käse angeboten.

In die Waschküche „Schüssler“ [7] in der Pfinztalstraße fuhren mit dem Leiterwägele, dem Mercedes der Nachkriegszeit. Der Waschtag war ein gefürchteter Tag und harte ,gefährliche Arbeit. Wenn die Wäsche aus dem Kessel mit heißem Wasser durch große Holzlöffel in den nächsten befördert wurde, konnte man sich schnell verbrühen. Am Waschtag gab es immer Eintopf. Die Wäsche wurde in allen gesellschaftlichen Schichten lange nicht so häufig gewechselt wie heute.

Anlässlich der Konfirmation kam samstags Herr Zimmerer vom altbekannten Cafe [8] zum Torten dekorieren. Das Fleisch fürs Fest wurde in der Metzgerei „Knecht“ (Kelterstraße) [9] gekauft . Die Wurst für den Aufschnitt bei „Künzle“ [1] und ein Teil im Gasthaus „Zur Alten Residenz“ [10] in der Zunftstraße. So sollte es allen gerecht werden.

Von der Großmutter und ihrer Schwester bekam ich einen goldenen Ring mit kleinen Aquamarinen geschenkt, natürlich bei „Meissburger“ [11] gekauft. Onkel und Tanten brachten einen Lederkoffer vom „Leder Kretsch [12]„ Die vielen Sammeltassen, die es gab, waren zum großen Teil von „Melang“ [13] (Pfinztalstraße/Ecke Ochsentorstraße). Das Kleid war privat genäht worden, aber die Schuhe durfte ich bei „Morlok“ [14] , damals in der Pfinztalstraße wo heute das Kehrle ist, aussuchen.
Nach dem Konfirmationstag ging´s dann mit der Kleidung des Festtags zum „Atelier Traub“ [15] in der Zehntstraße. Er war ein Künstler, der ein besonderes Erlebnis vermittelte.

Neben den kleineren Einzelhandelsgeschäften etablierten sich „Pfannkuch“ [16] und „Kaiser`s Kaffee-Geschäft“ [17]. Da gab es kleine Heftchen. Bei jedem Einkauf bekam man entsprechend dem Betrag Märkchen, die eingeklebt wurden. Wenn das Heft voll war, wurde 1,50 DM zurückerstattet. Die Freude darüber war beachtlich.
„Holder“ [18] in der Pfinztalstraße hatte feines Gemüse und Obst und auch Delikatesswaren.

Vereinsfeste spielten eine große Rolle. Viele der alten Wrtschaften hatten eine kleine Bühne, z.B. der „Rote Löwen“ in der Spitalstr. (am 7.7.1952 abgebrannt) oder „Zum Lamm“ [5] in der Bienleinstorstraße. Das vornehmste Haus war die „Blume“ [19] am Hengstplatz; hier verkehrten die Stehkragenvereine mit ihren Darbietungen und zusätzlich engagierten Künstlern. Natürlich die „Festhalle“ [20] , wo auch die Feste des Markgrafen – Gymnasiums stattfanden.

Unsere Drogerie war entweder „Vogel“ [21] in der Pfinztalstaße / Ecke Zehntstraße oder „Hinkelmann“ [22] am Schlossplatz. Man wurde noch beraten was für was gut ist. Und im Schaufenster lachte Ilja Rogoff, der Dank Knoblauch 100 Jahre alt geworden ist.
Saatgut und was alles für den Garten gebraucht wurde war bei „Job“ [23] oder „Samen-Kleiber“ [24] beide in der Pfinztalstraße erhältlich.
„Melang“ [25] war ein reines Porzellangeschäft an der Ecke, wo sich heute die Löwenapotheke befindet, aber viel kleiner flächenmäßig.

Eine sehr wichtige Aufgabe, bevor der Winter kam , war das Bestellen von Kohlen, Brikett und Holz für uns bei „Kramb“ [26] in der Mittelstraße. Von Kohlenstaub geschwärzte Männer trugen die schweren Säcke in den Keller. Wir kauften aber auch einen Ster Holz, der dann vom Herrn Löffler mit seiner Sägemaschine in kurze Stücke zersägt wurde. Auf dem Holzklotz mussten diese Stücke mit dem Beil in kleine Scheite zerhackt werden. Eigentlich war das Männerarbeit , aber kriegsbedingt mussten diese Arbeit Frauen übernehmen.

Bei Krankheit wurden die Medikamente in der „Einhornapotheke“ [27] (Herr Eisinger) oder in der „Löwenapotheke“ [28] (Herr Zimmermann, später Herr Janka) geholt.

Neben dem Einkauf spielte das persönliche Gespräch zwischen den Durlacher Geschäftsinhabern und den Durlacher Bürgern eine wesentliche Rolle. Die Familien kannten sich seit Generationen.

Karlsruhe, den 04.08.2016
Gudrun Mittelhamm


Betriebe aus dem Adressbuch von 1952, die im Text von G. Mittelhamm genannt werden:

  Betrieb Branche Adresse Anmerkung
[1] Gustav Künzle Metzgerei Bienleinstorstraße 24 AB1960 : H. Künzle
[2] Gertrud Goldschmidt Lebensmittel - Einzelhandel Bienleinstorstraße 28 auch AB1960
[3] Willi Ribstein Bäckerei Bienleinstorstraße 25 auch AB1960
[4] Tannhäuser Gaststätte Bienleinstorstraße 22 auch AB1960
[5] Lamm Gaststätte Bienleinstorstraße 1 auch AB1960
[6] Martha Hege Milch und Molkereiprodukte Bienleinstorstraße 41 AB1960: Martha Egeler
[7] Erich Schüssler Mietwaschküche Pfinztalstraße 59 auch AB1960
[8] Friedrich Zimmerer Konditorei Pfinztalstraße 8 AB1960: Hans Schmidt
[9] Karl Knecht Metzgerei Kelterstraße 10 AB1960: Otto Ungerer
[10] Alte Residenz Gaststätte Zunftstraße 6 auch AB1960
[11] Hans Meißburger Juwelierwaren Pfinztalstraße 38 auch AB1960
[12] Franz Kretz Leder Pfinztalstraße 21 auch AB1960
[13] Melang & Steponath Haushalt Pfinztalstraße 48-50 auch AB1960
[14] Wilhelm Morlock Schuhe Pfinztalstraße 37 AB1960:
Pfinztalstraße 70
[15] Hermann Traub Photo-Atelier Zehntstraße 7 auch AB1960
[16] Pfannkuch Lebensmittel - Einzelhandel nicht im AB  
[17] Kaisers Kaffeegeschäft Lebensmittel - Einzelhandel Pfinztalstraße 62 auch AB1960
[18] Ludwig Holder Lebensmittel - Einzelhandel Pfinztalstraße 86 auch AB1960
[19] Blume Gaststätte Pfinztalstraße 2 auch AB1960
[20] Festhalle Gaststätte Kanzlerstraße 13 auch AB1960
[21] Central-Drogerie
Paul Vogel
Drogerie Pfinztalstraße 74 auch AB1960
[22] Adler-Drogerie
Hans Hinkelmann
Drogerie Pfinztalstraße 16 auch AB1960
[23] Amalie Job Samen Pfinztalstraße 46 auch AB1960
[24] Frieda Kleiber Samen Pfinztalstraße 61 auch AB1960
[25] Walter Melanng Küchengeräte, Porzellan Pfinztalstraße 32 auch AB1960
[26] Alfred Kramb Kohlen-Koks-Brennholz Mittelstraße 7 auch AB1960
[27] Einhorn-Apotheke
Eugen Eisinger
Apotheke Amthausstraße 3 auch AB1960
[28] Löwen-Apotheke
Fritz Zimmermann
Apotheke Pfinztalstraße 32 auch AB1960

Liste der Gewerbetreibenden in der Umgebung
aus den Adressbüchern für 1939, 1952, 1960

Bienleinstorstraße 1-23 | 2- 16
Bienleinstorstraße 25-47 | 22-38


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zuletzt bearbeitet von Klaus Horn am 05.08.2016 | k-r-horn BEI t-online.de