Geschichtswerkstatt

Zeitzeugeninterview - 06

Lehrstellensuche
nach meiner Schulentlassung im Jahr 1947

Der Krieg war gerade zu Ende gegangen und an Lehrstellen war ohne Beziehung fast nicht zu denken. Nun meine Eltern hatten dies leider nicht. Mein Wille war jedoch, egal was ich für eine Lehrstelle finde, ich werde selbst suchen und auch diese annehen.

Es wurde mir gesagt, dass ein Weiterkommen ohne einen Abschluss sehr, sehr beschwerlich sei.
Gedacht, gesagt, getan:

Zu der damaligen Zeit war es eine große Kostbarkeit, ein glücklicher Besitzer eines Fahrrades sein zu dürfen. Nun machte ich mich mit meinem Drahtesel von Durlach aus auf den Weg, die große Stadt Karlsruhe zu erobern. Mein Ziel war es, bei jeder Firma, an der ich vorbeifuhr, anzuklopfen und anzufragen, um so an eine Lehrstelle zu kommen.

Die erste Anlaufstelle war die EnBW - vormals Badenwerk. In den Gesichtern sah man schon des öfteren ein Schmunzeln. Da kommt ein Mädchen mit Zöpfen und wagt sich in so einem großen Bau, um nach einer Lehrstelle als Bürolehrling zu fragen. Ja, so ging es immer weiter und weiter ... und immer höhrte ich das Wort "n e i n". Die Verneinung schmälerte mein Vorhanden jedoch nicht.

Nun landete ich in der Oststadt. Ja, da kam ich an ein sehr großes Delikatess-Geschäft mit sieben Schaufenfenstern. Ein großes Staunen ging über mein Gesicht. Von dieser Größe gab es in Karlsruhe nur drei Geschäfte, was ich ja zu der damaligen Zeit nicht wissen konnte, denn ich kam ja aus Durlach und für Delikatessen hatten meine Eltern kein Geld. Wir hatten ja unsere Hasen und Ziegen, welche einen großen Teil zum Überleben beitrugen.

Zu vermerken wäre noch, dass 1947 noch die ReichsMark Zahlungsmittel war. Auch konnte man ohne Lebensmittelkarten keinen Einkauf vornehmen. Mein Wunsch war ja nicht, Verkäuferin zu erlernen; jedoch meinen Grundsatz, eine Lehrstelle zu finden, gab ich nicht auf. Der Entschluss war gefasst und ich ging in das Geschäft. An der Kassel stand Aenne Noske. Ich informierte sie über mein Anliegen. Sie gab zur Antwort, dass dies das Resort ihres Mannes sei. Nach einer gewissen Zeit kam auch Erich Noske. Er hörte mich an und sagte : "Ja, Mädchen, wie du dies machst, ist ja schon ausgefallen. Du gefällst mir, nur, ich habe vor einer Woche bereits einen Lehrling eingestellt". Er drehte sich noch einmal um seine eigene Achse, schaute mich an und sprach: "Du kommst am Montag ... Eine von Euch muss eben gehen."

Gerne ließ ich mich darauf ein und hatte das Glück, bleiben zu dürfen. Dies Familie hatte eine starke Ausstrahlung auf mich, welche mich sehr prägte und in meinem weiteren Leben sehr half. Sie sprang einfach auf mich über. Sicherlich hatte ich das Gehorchen durch mein aktives Sporttraining gelernt und war einfach offen für alles.

Das Gehalt betrug damals 25 RM und die Arbeitszeit lag zwischen 10-12 Stunden. 2/3 der Woche musste ich bereits morgens um 6 Uhr auf dem Gemüse-Großmarkt sein. Nun da ich diesen Großmarkt sowieso sehr liebte, war es keine Strafe. Meine Großmutter Christina, welche den Unterhalt für sich und ihre 3 Kinder mit dem Gemüse verdienen musste, nahm mich mit 6 Jahren schon auf den Großmarkt mit. Der Duft in diesen großen Hallen war für mich ein sehr großes Erlebnis; denn mit großer Freude stand ich vor den Bergen von Orangen, welche ich ja fast 10 Jahre nicht mehr sehen und riechen konnte.

Der Anlass, warum dieser Artikel geschrieben und veröffentlicht wurde, war dass man mitteilen wollte, wie jeder selbst etwas unternehmen kann.

Wie man ja in der Zwischenzeit weiß, gibt es ja keine Zufälle; denn in der gleichen Zeitung wurde meine ehemalige Chefin Aenne als erste Medikuss-Leserin abgebildet; denn ihr Schwiegersohn gestaltete diese im Städtischen Klinikum erscheinenden Zeitung. Am ersten Weihnachtstag bekam ich diese Zeitung und sofort rief ich bei ihr an. Beide waren wir der Meinung, dass diese Begegnung nach 50 Jahren ein herrliches Weihnachtsgeschenk für uns beide war.

Quelle :Gerda Schneider; Zeitung der Städtischen Kliniken Karlsruhe Medi-Kuss Dezember 2000


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zuletzt bearbeitet von Klaus Horn am 26.07.2016 | k-r-horn BEI t-online.de