VII. Zusammenfassung und Ausblick
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Im Vergleich zu alten, langsam gewachsenen
Städten schien die Gesellschaft einer neugegründeten Residenzstadt als ein
Zufallsprodukt entstanden zu sein. Wie sich
der Stadtgrundriß nach und nach mit Häusern füllte, formierte sich eine Gesellschaft aus Menschen, die einander fremd
waren und welche die unterschiedlichsten
Lebenserfahrungen und Weltanschauungen mitbrachten. Theoretisch vollzog sich dieser Prozeß im
traditionsfreien Raum. Weder bestimmten "alte" Rechte, wie Zunftmitgliedschaft oder Ratsfähigkeit, die
soziale Hierarchie, noch war der
städtische Besitz zwischen den Familien fest verteilt. Als einzigartig galt diese Situation im Oberrheingebiet allerdings
nicht. Die Kriege des 17. Jahrhunderts
hatten die Städte so stark verwüstet, daß ein Wiederaufbau oftmals einer Neugründung gleichkam. Nach der Zerstörung
im Pfälzischen Erbfolgekrieg lebten
von den ehemals 357 Durlacher Bürgern gerade noch 76 und in der Stadt standen nicht mehr als fünf Häuser unversehrt.
Der entscheidende Unterschied gegenüber einer Neugründung lag in diesem Falle
jedoch darin, daß beim Neuaufbau an alte Traditionen und Rechte angeknüpft
werden konnte: Die Häuser wurden auf
den alten Grundrissen aufgebaut, die städtischen Institutionen nach altem Herkommen weitergeführt. Der
Residenzneugründung vergleichbar zeigte sich aber auch die Situation in den zeittypischen Kolonistensiedlungen.
1699 siedelte der Baden-Durlacher Markgraf Friedrich Magnus
eingewanderte Wallonen in dem neugegründeten, privilegierten Ort Friedrichstal
an. Eine Gruppe Waldenser erhielt ähnliche
Rechte in Welschneureuth.lssl Auch in diesen Gemeinden mußte sich die Bevölkerung erst etablieren und der
neuen Umgebung angemessene soziale
Verhaltensweisen und Normen entwickeln; doch auch hier dürfte die
Assimilation leichter erfolgt sein, da innerhalb der Einwohnerschaft die gemeinsame Nation und das gemeinsame
Flüchtlingsschicksal als bindendes Moment
wirkten.
Die
beiden Beispiele weisen daraufhin, daß die gesellschaftlichen Strukturen im unmittelbaren, zeitlichen und geographischen
Umfeld der Karlsruher Stadtgründung in
Bewegung waren, aber auch, daß die Residenzgründung Karlsruhe gegenüber den städtischen Wiederaufbauaktionen und
den Kolonistensiedlungen der Zeit durch
eine "relative" Offenheit ihrer gesellschaftlichen Strukturen
hervorragt. "Relativ",
insofern der Zuzug natürlich auch hier von bestimmten Interessen geleitet wurde - in erster Linie durch jene
des Landesherrn. Geeignetes Medium, die Zusammensetzung
seiner residenzstädtischen Bevölkerung zu beeinflussen, bot dem
absolutistischen Fürsten die Privilegienpraxis. In peuplistischer Manier lockte
Markgraf Karl Wilhelm Menschen in seine neue Residenz, zunächst Bauarbeiter, später bevorzugt Gewerbetreibende. Und
tatsächlich unterschied sich die in Karlsruhe
eingefundene Gesellschaft anfänglich deutlich von der Gesellschaft einer alten Residenzstadt. Es waren weniger
wohlhabende Personen, als vielmehr solche,
die bei der Aufgabe ihrer alten Lebenssituation nicht viel zu verlieren hatten. Unter ihnen befanden sich vor allem junge
Durlacher, die angesichts ihres familiären
Rückhaltes im nahen Durlach und ihrer Kenntnis der örtlichen Lage, bessere Ausgangsbedingungen hatten.
Auch Schweizer, Franzosen und Italiener zogen
zu. Vergeblich sucht man in den ersten Jahren den Adel, nur nach und nach ließ sich die Beamtenschaft in der neuen Stadt
mit eigenem Hausbesitz nieder und auch
die Hofdienerschaft nahm im Vergleich zur Gruppe der Handwerker und Gewerbetreibenden nur wenig Raum ein. Die mit den
Privilegien verliehene Konfessionsfreiheit
und die wirtschaftlichen Vergünstigungen hatten Bevölkerungssgruppen in
die Stadt gezogen, die ihr eher ein koloniehaftes Gepräge gaben. Die Zusammensetzung der Bevölkerung
veränderte sich dann jedoch. Nach dem
Auslaufen der Privilegien 1752, spätestens seit der dritten Generation unterschied sich die Stadtgesellschaft Karlsruhes
von der einer südwestdeutschen Residenzstadt
in den charakteristischen Merkmalen nicht mehr.
Dieser Wandlungsprozeß - von der
koloniehaften Bürgergemeinde hin zur hofbestimmten bürgerlichen Gesellschaft -
ließ sich einerseits über strukturelle Analysen (Demographie und Schichtung), andererseits
über die ereignisgeschichtliche Darstellung
verfolgen. Während im analytischen Teil der Wandel quantifizierend aufgezeigt werden konnte, ließ sich im
deskriptiven Teil die Genese der residenzstädtischen Bevölkerung anhand dreier
Stationen veranschaulichen: Während der ersten Generation, die unter dem Zeichen "Gründung und
Aufbau" stand, war die Hofgesellschaft
noch kaum in der Stadt vertreten. Bis zur zweiten Generation hatten die
beiden Lebensbereiche "Hof und Stadt" an Berührungspunkten gewonnen. Schließlich konnte für den Zeitraum der
dritten Generation am Beispiel der sozialen
Fürsorge gezeigt werden, wie die landesherrlichen Beamten die Stadt endgültig dominierten.
Nun wurden auch in alten Residenzstädten Peuplierungsmaßnahmen unternommen. Die
Ansiedlung und Privilegierung beschränkte sich hier jedoch auf autonome Gemeinden
oder Vorstädte. Bei Berlin entstanden zwischen 1662 und 1705 die
vier Flüchtlingsgemeinden Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichstal und
Charlottenburg. Auch nachdem die Gemeinden 1705 mit Berlin vereinigt wurden,
behielten sie einen verwaltungsmäßigen Sonderstatus.lss3 Ähnlich zeigte sich
die Situation in der Residenzstadt Hanau, neben welcher bereits Ende des 16.
Jahrhunderts eine calvinistische Kolonistensiedlung angelegt wurde. Erst im 18.
Jahrhundert fiel hier die Befestigung zwischen beiden Stadtanlagen.lssa In Erlangen, das
seit Jahrhundertbeginn Residenz der Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach war, blieb die
Kolonistensiedlung Christian-Erlang bis 1812 unter eigener Verwaltung.
In Karlsruhe
wirkte sich die Privilegierungspolitik unmittelbar auf die residenzstädtische Bevölkerung aus.
Verglichen mit anderen Residenzstädten führte das zunächst zu einer beachtlichen Autonomie der Bürgergemeinde; ferner zu
einer höheren sozialen Mobilität und
Heterogenität innerhalb der Bevölkerung. Denn .weder hemmten Zunftschranken die Aufnahme eines Gewerbebetriebes noch
war das Bürgerrecht an die
Landeskonfession gebunden. Mit der konfessionellen Toleranz und der
bürgerlichen Gleichstellung der Juden, für die das Manheimer Privileg von 1670
Vorbild gewesen sein dürfte, wurde eine konfessionspolitische Situation vorweggenommen, die in anderen Städten
erst im Zuge der Aufklärung eintrat. Selbst in Hamburg, wo ebenfalls alle drei
christlichen Konfessionen und überdies auch noch die Mennoniten das
Bürgerrecht erwerben konnten, erhielten die
beiden christlichen Minderheiten erst 1783 das Recht auf freie Religionsausübung und die Juden wurden nur für die kurze
Phase der französischen Revolutionskriege
gleichgestellt.
Gleichwohl zeigte sich diese, auf den Karlsruher
Privilegienbriefen ruhende Liberalität, nur auf einige Jahre beschränkt. In der
Konfessionsfrage setzten sich sehr schnell die Bedenken der lutherischen
Kollegien durch. Dies gibt zu erkennen, daß die liberale Gründungskonzeption
tatsächlich einer absolutistischen "Fürstenidee" entsprang, daß sie
zumindest einer einhelligen Zustimmung im Geheimrat entbehrte. Nach lebhaften Diskussionen im Geheimrat erhielten
die Katholiken schließlich doch keine
Pfarrechte. Einhergehend mit der wirtschaftlichen Krisenzeit der vierziger Jahre wurden "praeter legem"
auch andere Punkte der Privilegien beschnitten. Zum Teil kamen die restriktiven Tendenzen dem Interesse der Bürgerschaft entgegen. Die
Zuzugsbeschränkung für Juden und die Erhöhung
des Vermögensnachweises für Bürger sicherte ihre, ehemals durch Subventionen
begünstigte, wirtschaftliche Stellung.
Auch die konfessionelle Toleranz führte nicht eigentlich
zu einem religiösen Pluralismus,
sondern zumindest für einige fremdkonfessionelle Zuwanderer, zu einer Orientierung an der Landeskonfession.
Maßgeblich trug dazu bei, daß es sich
bei den fremdkonfessionellen Zuwanderern um ökonomisch bzw. professionell homogene Gruppen handelte.
Insbesondere bei den Katholiken ließ sich feststellen, daß deren demographische Werte viel stärker durch ihre
ungünstige ökonomische Lage und ihren
rechtlichen Minderheitenstatus als durch ihre Konfessionszugehörigkeit bestimmt waren. Es ist zu vermuten, daß eine fremdkonfessionelle, unterschichtige Gruppe, wie
sie etwa die Katholiken in Karlsruhe
vor allem vor 1771 darstellten, prinzipiell geringere Chancen zum Aufbau familialer Strukturen und zur höheren
Kinderzahl besaßen - gleich welcher Konfession sie angehörten. Die Bedeutung der
Konfession als demographischer Faktor
müßte nach den hier gewonnenen Ergebnissen zugunsten der Wirkung materieller und rechtlicher Voraussetzungen
eingeschränkt werden.
Der
Beginn der residenzstädtischen Entwicklung läßt sich nicht als Jahreszäsur fassen. Schon in der Mitte der vierziger Jahre
verursachte die kriegsbedingte, wirtschaftliche Krise erneut einen
Bevölkerungsaustausch. Man könnte 1752, das Jahr
der Privilegienerneuerung nennen, ebenso das Jahr 1764, in welchem der planmäßige
Ausbau zur Residenzstadt begann. Auf jeden Fall ist die Zäsur innerhalb des für die zweite Generation gewählten
Zeitraumes zu suchen, und zweifellos
hängt dieser Wandel eng mit dem Regierungsantritt des neuen Baden-Durlacher
Regenten, Markgraf Karl Friedrichs, zusammen. Er beabsichtigte die Stadt zu einer repräsentativen Residenzstadt
auszubauen, in welcher Bevölkerungsgruppen
wie dem Adel und der hohen Beamtenschaft eine wichtige Funktion zukam. In den wenigen überlieferten
Tagebuchaufzeichnungen Karl Friedrichs liest
man unter dem Datum 26. November 1764: Ich wünsche sehr, daß es möglich möcht gemacht werden, reiche Familien,
besonders Adelige dahin zu vermögen,
ihre Wohnungen hier aufzuschlagen. Daß es
ihm gelang, den Rückstand in der
residenzstädtischen Entwicklung aufzuholen, lassen nicht nur die Ergebnisse des strukturellen Analyseteils erkennen,
sondern auch die exemplarische Darstellung
der für die Zeit äußerst modernen, aufgeklärten Institutionen. Karlsruhe reihte sich in den achtziger Jahren des
Jahrhunderts nahtlos in die Reihe der
Residenzstädte des Reiches ein. Die Reiseberichte aus jener Zeit geben Zeugnis davon. Diese Veränderung wurde zugleich
von einer zunehmenden ökonomischen
und professionellen Differenzierung innerhalb der Stadtgesellschaft begleitet. Die unplanmäßig am Stadtrand
entstandene Siedlung KleinKarlsruhe
erwies sich dabei immer deutlicher als ein von der Stadt abgehobenes Gemeinwesen,
als "soziales Auffangbecken" der residenzstädtischen Gesellschaft. Hier ließen sich Alte und Witwen, Tagelöhner,
herrschaftliche Knechte und Soldaten
nieder, hier wurden dann aber auch während der Revolutionsjahre unter der Führung einer kleinen Gruppe Gewerbetreibender
eigene kommunalpolitische Interessen artikuliert.
Läßt sich nun verallgemeinernd bei den absolutistischen
Residenzneugründungen von einem
entwicklungsfähigen "Kolonistentyp" sprechen? Für Karlsruhe dürfte dies durchaus zutreffen. Das Bild der
Baden-Durlacher Residenz war bis über die Jahrhundertmitte hinweg von dem Ereignis der Gründung bestimmt. Es hätte
zweifellos eher dem der benachbarten und ebenfalls lutherischen Residenz der Landgrafen von Hessen-Darmstadt geähnelt, wäre die
badische Residenz in Durlach geblieben. In Darmstadt errichtete man in der
ersten Jahrhunderthälfte eine Vorstadt,
in welcher überwiegend Beamte siedelten, und es entstanden individuell gestaltete Adelspalais, die der Karlsruher
Modellbau von vorneherein ausschloß.lsbo
Zwischen Stadtrat und Landesherr kam es hier um "alte Rechte", um den Stadtmauerbau und die Ratsbesetzung zu offenen
Konflikten.ls61 In
Karlsruhe konnte der Rat gegenüber
dem Landesherrn allenfalls auf die Privilegienbriefe rekurrieren. "Alte Rechte", die überdies
identitätsstiftend und damit das Selbstbewußtsein fördernd auf die
Bürgergemeinde eingewirkt hätten, fehlten. Schließlich erhielten die
Darmstädter Katholiken erst im Jahre 1790 das Recht zur freien Religionsausübung; die Juden wurden 1796 erstmals zum vollen Bürgerrecht zugelassen.1562 In ähnlicher Weise dürfte
man sich die Entwicklung Durlachs
vorstellen, wenn es nicht zur Gründung Karlsruhes gekommen wäre. Vergleicht man nun das institutionelle Niveau
Darmstadts mit dem Karlsruhes am Ende
des Jahrhunderts, so schneidet Karlsruhe eindeutig besser ab. Es bliebe zu überlegen, ob nicht gerade der Rückstand in der
residenzstädtischen Entwicklung bei
Karl Friedrich die energischen, innovativen Maßnahmen hervorrief.
Die
Charakterisierung als "Kolonistentyp" läßt sich jedoch nicht
verallgemeinernd auf alle absolutistischen
Residenzgründungen anwenden. Diese Klassifizierung dürfte sowohl für die
Einordnung der Stadt als auch der Bevölkerung zu eng sein. Angemessen wäre es von einem "funktional
bestimmten" Bevölkerungstyp zu sprechen,
der daraus resultierte, daß es sich bei diesen Neugründungen um vom Stadtgründer für bestimmte Funktionen ausersehene
Gemeinwesen handelte. Dem Residenzsitz
konnte dabei die für die Bevölkerungsstruktur und damit auch für die Stadt prägende Rolle zukommen, wie es etwa in
Ludwigsburg der Fall war. Daß dies
jedoch nicht zwangsläufig eintreten mußte, ließ sich am Beispiel Karlsruhes für
die erste Jahrunderthälfte zeigen.
Dem
Rechtshistoriker Wolfgang Leiser, der sich in seinen grundlegenden Aufsätzen zu rechts- und sozialgeschichtlichen Themen
der südwestdeutschen Stadtgeschichte
auch immer wieder zu Karlsruhe geäußert hat, gibt diese Untersuchung in einem Punkt seiner
"Stadtcharakteristik" recht, um ihn dann jedoch in einem weiteren einzuschränken: In seiner
Antrittsvorlesung an der Universität Freiburg im Jahre 1964 stellte
Leiser das Gründungsprogramm der Baden-Durlacher Residenz als Kombination einer Residenz- und Gewerbegründung vor.
Entstanden sei schließlich nur eine
"typische Residenzstadt", deren Existenz vom Hofe abhängig geblieben sei.Betrachtet man die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, so trifft diese These durchaus zu. Beschäftigt man sich
hingegen auch mit der ersten, freilich
quellenärmeren Jahrhunderthälfte, so hebt sich jene Zeit deutlich von der späteren ab. Die Stadt besaß, allein aufgrund der
Zusammensetzung ihrer Bevölkerung, in
jenen Jahren zweifellos eher einen gewerbebürgerlichen als residenzstädtischen
Charakter.
Epilog: Von der
markgräflichen Residenz zur Hauptstadt des Großherzogtums Baden
Am 22. August 1796 fiel die wichtige Entscheidung: Die
Markgrafschaft Baden schloß
mit Frankreich Frieden. Die politische Seite war richtig gewählt, Reitzensteins Entschluß der Beginn für den Aufstieg der
kleinen Markgrafschaft an der Westgrenze
des Alten Reiches zu einem Mittelstaat mit europäischer Bedeutung. Bis zur Erhebung zum Großherzogtum im Juli 1806
hatte sich das Territorialgebiet
vervierfacht, die Bevölkerung Badens verdreifacht.lsba Auch in der Residenzstadt war der Bevölkerungszuwachs zu spüren.
Wie schon nach 1771 schnellte die
Einwohnerzahl rasch in die Höhe: Von etwa 8700 Einwohner um die Jahrhundertwende auf 15.000 im Jahre 1815 -
ein jährliches Wachstum von 4,8%. Auch die konfessionelle Gliederung hatte sich
nochmals deutlich verschoben. Der Anteil der Katholiken war auf 29,3%
gestiegen, die Zahl der Reformierten hatte ebenfalls leicht zugenommen, die Anhänger der Landeskonfession
vereinigten indes nur noch 61,6% auf
sich. Auch darin spiegelte sich nur die territoriale Entwicklung wieder. Mit der Gebietserweiterung waren
weitere fremdkonfessionelle Landesteile hinzugekommen, die reformierten
Gemeinden der Kurpfalz und der Reichsritterschaft,
weite katholische Gebiete, darunter die säkularisierten Fürstbistümer, durch welche der Katholikenanteil
des Großherzogtums eine Höhe von über
60% erreichte. Für die Integration der Landesteile war es durchaus von Vorteil, daß die konfessionellen Minderheiten
bereits zuvor in der Residenz geduldet
waren. Die Gründung einer katholischen Pfarrei wurde angesichts der großen Katholikenzahl in der Residenzstadt ohnehin
unumgänglich, und problemlos ließ
sich hier an die seit der Stadtgründung bestehende Tradition des Kapuzinerhospiz anknüpfen. Die Reformierten
konnten noch vollständiger integriert
werden: 1821 vereinigten sich
lutherische und reformierte Kirche zur evangelischen Landeskirche. Für
die alte reformierte Kirche in Karlsruhe hieß dies, daß sie nun einer inzwischen ungleich größeren
Bevölkerungsgruppe, den Soldaten, als
Raum zu dienen hatte. Die Juden,
welche schon einmal in der Karlsruher
Geschichte das volle Bürgerrecht genossen hatten, gewannen es nun im Rahmen der
landesweiten Reformen stückweise wieder: 1808/11 das beschränkte, passive und 1832
schließlich das volle Bürgerrecht. Doch diese
Neuerungen betrafen alle badischen
Städte gleichermaßen und standen im Dienste des "inneren Staatsaufbaues". Die Probleme des Landes besaßen
nun gegenüber der Residenzstadt eindeutig Priorität.
Der Aufbau einer einheitlichen
Landesverwaltung stand nun als politisches Programm an; die besondere Beachtung, welche der Residenzstadt als
"kommunalpolitisches Experimentierfeld"
in der zweiten Jahrhunderthälfte zugefallen war, hob sich damit auf. Karlsruhe
hatte sich einzufügen in die Nivellierungstendenzen des modernen Staates. Mit dem Organisationsedikt von 1809,
das für alle Städte und Kommunen einheitliche Richtlinien vorsah, erloschen die,
die Residenzstadt auszeichnenden Privilegien.
Beim Regierungsantritt Großherzog Karls versuchte der Karlsruher Rat zwar nochmals die Bestätigung der
Stadtprivilegien zu erhalten, doch die
Kreisregierung lehnte das Gesuch schon im Vorfeld ab.1569 Während dieser Jahre des Umbruches sorgten sich die Bürger
berechtigterweise um die Zukunft
ihrer Stadt. Bei jedem neuen Gebietszugewinn, im Dezember 1803 und im
Februar 1806, entstanden Gerüchte,
nun würde die Residenz verlegt werden. Denn
immerhin hatte Baden nun die bedeutenden Residenzen Mannheim und Heidelberg hinzugewonnen, und vieles sprach dafür,
die Residenz in das bevölkerungsreichere
und repräsentativere Mannheim zu verlegen. Zweimal fragte der Stadtrat bei der Regierung an, ob die
Bürgerschaft auch darauf vertrauen
könne, daß die Residenz in Karlsruhe verbliebe. Die Stadt trug an den Belastungen der Rheinbundzeit, an den Schulden
und den straffen Reformen; sollten
die Frankreich zu verdankenden Gewinne für die Stadt zum Pyrrhusieg
werden? Blickt man auf die bauliche Entwicklung der Stadt, so deutete nichts daraufhin. Nach dem Luneviller Frieden
(1801) begann Weinbrenner die heute die Stadt noch prägenden
klassizistischen Bauten. 1804 entwarf er neue Modelle für Privathäuser. Wie im
18. Jahrhundert sollten die Häuser genauen Bauvorschriften
entsprechen, nur daß nun die Entwürfe differenzierter waren. Vom einstöckigen
bis zum vierstöckigen Haus wurden Modelle angeboten. Im Grunde spiegelte sich hier die gestiegene
Differenzierung der Stadtgesellschaft wider.
Auch die alte Karlsruher Handwerkerfamilie Nothard war noch in der großherzoglichen
Residenzstadt wohnhaft. Zwei ihrer
Mitglieder wohnten nun in den neueren
Häusern der Zähringerstraße, Kanzleidiener Daniel Nothard in Nummer 32, Peruquier Karl Nothard nebenan in
Nummer 34. Das dritte Mitglied der Familie hatte seinen Wohnsitz in der
Herrengasse behalten. Doch auch Christian
Nothard übte kein traditionelles Handwerk mehr aus, sondern hatte sich spezialisiert. Das Adressbuch führte ihn als
Konditor auf.
Mit
der Marktplatzgestaltung Weinbrenners wies die Stadt erstmals eine "bürgerliche Mitte" auf. 1805 wurde der
Rathausbau begonnen, dessen Errichtung sich dann allerdings zwanzig
Jahre hinzog. 1807 legte man die lutherische Kirche nieder, wodurch die Neuanlage des Markplatzes erst möglich wurde. 1816
konnte die neue lutherische Stadtkirche eingeweiht werden. Inzwischen
war es längst sicher, daß die Stadt Residenz
bleiben würde und damit ließ sich auch der Aufschwung der kommenden Jahrzehnte absehen. Bis zum Tode Weinbrenners im Jahre
1826 hatte die badische Residenzstadt ihr Gesicht gewandelt. Bestimmt wurde es nun von der Monumentalität der
Weinbrennerbauten, die in ihrer Wirkung
den Baubestand des 18. Jahrhunderts weit übertrafen. Das entsprach zwar der enormen territorialen Entwicklung des Landes
und der badischen Politik, die nunmehr
in größerem, europäischem Rahmen angesiedelt war, doch die gewachsene
residenzstädtische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts sah sich unvermittelt
damit konfrontiert. Würde sie das Bevölkerungswachstum, das Herandrängen neuer Bevölkerungsgruppen als Herausforderung
verstehen oder würde sich ihre
Behäbigkeit, gar Bequemlichkeit, ihre Provinzialität - die durchaus Lebensqualität bedeuten kann - durchsetzen
Zumindest der Rahmen für eine Fortentwicklung
wurde mit Weinbrenners Stadtplan geschaffen. Glaubt man Rahel Varnhagen, so
blieb dieser Rahmen zu weit gespannt: "Ein jeder, den man hier sieht,
In- und Ausländer klagt hier über die Unmöglichkeit, eine Gesellschaft zu haben. Dies ist nicht wahr: mit ein wenig mehr
Aufwand, der bei vielen hier ist, und
nur einer oder zwei Frauen (die ich bekäme, hätte ich Besuche und Bekanntschaften
gemacht), kann man sich eine Gesellschaft bilden. Es sind einzelne Personen genug dazu da. Aber niemand bleibt alle Abend
zu Hause, niemand hat menschliche
Stunden - um ein Uhr essen sie zu
Mittag, um halb neun Uhr zu Nacht; bitten sich nur die Menschen, wenn
sie Gesellschaft wollen; die eine bleibt bei ihren Kindern, die Freiheit und
Vermögen hat - nur solches wie wir -, die andere,
in dem Fall, wartet ihren amant ab. Kurz, es fehlt den Personen, die sich sehen könnten, eine volle Stadt als Unterlage und
Grund ihrer Gesellschaften; und sie behalten recht: 'Eine Capitale ist
schön; eine Residenz soll nicht mehr existieren!' Und die hier bleibt ein
souveränes Nest!“