Historisch-sozialtopographische Rekonstruktionen und Raumanalysen sind gerichtet
auf eine topographisch möglichst genaue, parzellengenaue Zuordnung und Lokalisierung
direkter und indirekter sozialer Merkmale oder personenbezogener Daten,
wie auch auf die sozialräumliche Analyse ihrer Verbreitung, Anordnungsmuster und
Standorte, in historischen Querschnitten und im Wandel ihrer historischen Entwicklung
(Längsschnitte). Ausgangspunkt ist die topographische Zuordnung (Verortung)
funktionaler und besonders sozialer quantitativer und qualitativer sozialstatistischer
Daten und Indizes der Bewohner zum Wohnstandort, wobei dieser allgemein auch
als Arbeitsort anzunehmen ist.
Das Ergebnis ist allgemein eine möglichst großmaßstäbige,
lückenlose, d.h. flächendeckende kartographische Darstellung wirtschaftlicher
und sozialer Merkmale von Familienvorständen oder Hausbesitzern für die Gesamtheit einer Stadt.
Auf dieser Grundlage kann dann eine sozialräumliche Interpretation
von sozialen Standort- und Verbreitungsmustern im Stadtplan aufbauen,
die "Kunde vom gesellschaftlichen Ort", von der Gesellschaftsstruktur im Stadtplan
oder auch der sozialräumlichen Organisation der städtischen Gesellschaft geben kann,
für einen belegbaren, meist quellenbezogenen Zeitpunkt wie auch
- durch den Vergleich mehrerer Zeitschnitte - im Wandel der historischen Entwicklung.
Eine historische Sozialtopographie fixiert und interpretiert somit soziale Indizes
der Bevölkerung am Wohnstandort in der Stadt und gewährt damit einen Einblick
in sozialräumliche Qualitäten, Gefüge und auch Beziehungen der Bewohner,
wie auch sozialer Gruppen, in die soziale Organisation der Stadt und ihrer Gesellschaft.
Über die individuelle Betrachtung einer Stadt hinaus lassen sich im Rahmen einer
vergleichenden Städtegeschichte allgemeinere Strukturen sozialer Standortbewertungen
und Standortqualitäten sowie ihre Persistenz und ihr Wandel erarbeiten, die sich in
einer städtischen Gesellschaft herausgebildet haben.
Erhellt werden letzlich auch auf die Parzelle, die Haus- oder auch Wohnungseinheit bezogene
Zusammenhänge zwischen der baulichen Struktur (Grundriss, Aufriss, Gebäudequalität),
der Gebäudenutzung (Funktion), der Wohnqualität wie auch der wirtschaftlichen und
sozialen Stellung des Nutzers (sozialer Status). Es ist den Ursachen und Prozessreglern
der Entstehung und Entwicklung von Standortmustern nachzugehen sowie der Frage nach
spezifischen reglementierten, wirtschaftlichen oder sozialen Bedingungen von Standortbestimmungen
und Verbreitungen.
Grundlegend für den sozialtopographischen Betrachtungsansatz ist die Annahme und Beobachtung, dass soziale Verhältnisse, Ordnungen, Strukturen und Aktivitäten raumwirksam und raumgestaltend sind, besonders im primären Prozess der Standortbestimmung, der Strukturierung von Grundriss und Aufriss im Plan und Bild der Stadt. Aus dem Nacheinander des Gestaltungsprozesses ergibt sich ein zeitlich wie räumlich komplexes Bild einer räumlichen Auswirkung in der Form von sozialen Strukturen und Elementen, deren tradierte Standortbestimmungen und Anordnungsmuster sozialräumlich zu analysieren und zu interpretieren sind.
Wenn die sozialtopographische Rekonstruktion und Analyse auch in den umfassenden sozialgeschichtlichen Zusammenhang der Stadtgeschichte gehört, und sich der soziale Aufriss der Gesellschaft im Grundriss der Stadt niedergeschlagen hat, so muss die soziale Raumanalyse doch wesentlich auf die raumstrukturellen Aussagen konzentriert werden, auf die räumliche Auswirkung von Sozialstrukturen und sozialen Schichtungen wie auch sozialer Mobiliät und auf sozialräumlichen Gliederungen innerhalb der Stadt, denen im weiterführenden Detail sozialtopographische Verbreitungen einzelner sozialer Indizes der Bebauuung und der Wohnstandorte der Bevölkerung zu Grunde liegen. (...)
Enger mit der Sozialtopographie verbunden ist die vornehmlich geographische Forschung
der sozialräumlichen Gliederung, der Abgrenzung und sozialräumlichen Analyse
innerstädtischer Teilräume (Viertel, Quartiere, Nachbarschaften, Kirchspiele u.a.)
mit entwicklungsgeschichtlichen, funktionalen und sozialen Eigenständigkeiten im
Zusammenhang mit der topographisch-organisatorischen (verfassungstopographischen)
Stadtgenese und Stadtstruktur.